VVG § 188; AUB 2000 9.4
Leitsatz
Hat sich in einer auf Verlangen des VN durchgeführten Neubemessung der unfallbedingten Invalidität ein geringerer Invaliditätsgrad als in der Erstbemessung ergeben, so darf der VR die Zuvielleistung jedenfalls dann zurückfordern, wenn er den VN zuvor auf diese Möglichkeit hingewiesen hat.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Brandenburg, Urt. v. 11.2.2017 – 11 U 95/12
Sachverhalt
Die Kl. verlangt von dem im Jahre 1955 geborenen Bekl. die teilweise Rückgewähr einer bereits ausgereichten Invaliditätsleistung. Der Anspruchsgegner erlitt am 10. und 22.8.2008 im Freizeitbereich Unfälle, bei denen jeweils seine rechte Hand verletzt wurde. Die Anspruchstellerin zahlte ihm daraufhin, gestützt auf das von ihr eingeholte unfallchirurgische Gutachten des Dr. H, zunächst 10.850 EUR und später, ausgehend von dem am 2.3.2009 erstellten Zusatzgutachten desselben medizinischen Sachverständigen, das einen Dauerschaden im Bereich der rechten Hand im Umfange von ½ bejaht, weitere 23.250 EUR. Mit Schreiben v. 5.9.2009 beantragte der Bekl. eine Neubemessung der Invalidität. In ihrer Antwort vom 7.9.2009 versprach ihm die Kl., ein Jahr nach der seinerzeit jüngsten Begutachtung einen neuen Gutachtenauftrag zu erteilen, und wies zugleich darauf hin, dass die bisher erbrachten Leistungen nun als Vorschuss zu sehen seien, der unter dem Recht der Rückforderung stehe. Das dann in Auftrag gegebene unfallchirurgische Gutachten des Dr. K vom 10.3.2010 kam zu dem Ergebnis, es bestehe (nur) eine dauerhafte Beeinträchtigung des rechten Zeigefingers von 5/10 und des rechten Mittelfingers von 7/10; bei Letzterem sei eine Vorbeeinträchtigung von 1/10 zu berücksichtigen. Die Kl. bestimmte daraufhin den unfallbedingten Grad der Gesamtinvalidität mit 8 %, was 9.920 EUR entspricht, und forderte die Rückzahlung der weiteren 24.180 EUR (10.850 EUR + 23.250 EUR – 9.920 EUR).
2 Aus den Gründen:
" … Die klägerische Berufung ist … erfolglos. Denn der Senat kommt ebenso wie das LG, wenn auch teilweise aus anderen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen, zu dem Ergebnis, dass die Kl. gegen den Bekl. betreffend die hier in Rede stehende Unfallversicherung keinen Anspruch auf eine (partielle) Rückerstattung der bereits ausgezahlten Invaliditätsleistung hat. Die Auffassung, wonach dem VR in Konstellationen der vorliegenden Art schon aus Rechtsgründen – mangels Vorbehalts seines eigenen Rechts auf Neubemessung – kein Rückforderungsanspruch zusteht, teilt der Senat freilich nicht; dies gilt jedenfalls dann, wenn der VN – wie hier mit dem Schreiben v. 7.9.2009 – zuvor darauf hingewiesen worden ist, dass sich im Rahmen der von ihm gewünschten nachträglichen Überprüfung des Invaliditätsgrades auch Rückzahlungsforderungen gegen ihn ergeben können. Nach der Beweisaufnahme, die in zweiter Instanz durchgeführt wurde, lässt sich indes (aus tatsächlichen Gründen) nicht feststellen, dass die Rechtsmittelführerin den zurückverlangten Teil der Versicherungsleistung ohne einen rechtlichen Grund i.S.d. § 812 Abs. 1 BGB erbracht hat. Im Einzelnen gilt Folgendes:"
1. Die Rechtsfrage, ob sich bei der privaten Unfallversicherung im Rahmen einer Neubemessung des Invaliditätsgrades – wie hier nach Abschn. 9.4 AUB 2000 – eine Verschlechterung zulasten desjenigen Teils, der die Überprüfung verlangt hat, auch dann ergeben kann, wenn der andere Teil sein eigenes Recht darauf bereits verloren hat, wird in der Judikatur und im Schrifttum uneinheitlich beantwortet. Ebenso wie das LG im Streitfall legen die Entscheidungen des OLG Frankfurt am Main (VersR 2004, 1653) und jüngst des OLG Oldenburg (zfs 2017, 162) den Schwerpunkt auf die prozessuale Seite und kommen im Wege der Auslegung des Nachprüfungsverlangens beziehungsweise der vereinbarten Versicherungsbedingungen zu dem Ergebnis, dass eine Überzahlung vom VR allein dann kondiziert werden darf, wenn dieser sich sein eigenes Recht, die ärztliche Neubemessung vornehmen zu lassen, bereits bei der Ersterklärung über seine Leistungspflicht vorbehalten hat. Dem ist in der Literatur zunächst Kloth (jurisPR-VersR 4/2009 Anm. 5) beigetreten. Er hat diese Auffassung inzwischen allerdings aufgegeben (vgl. Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Aufl., Teil G Rn 236) und sich der h.M. angeschlossen, die die materielle Richtigkeit der – infolge weiteren Zeitablaufs besser möglichen – Bestimmung des Invaliditätsgrades betont und es daher für unerheblich hält, von wem letztlich die Neubemessung initiiert wurde. … Für diese Ansicht sprechen zumindest dann die besseren Argumente, wenn – wie auf den hiesigen Altvertrag bei Eintritt des Versicherungsfalls im Jahre 2008 gem. Art. 1 Abs. 1 und 2 EGVVG – die bis zum 31.12.2007 in Kraft gewesene Fassung des Versicherungsvertragsgesetzes weiter anzuwenden ist.
Weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik der Regelung über die Neubemessung lassen sich für den Fall, dass diese eine geringere als die bereits erbrachte Invaliditätsleistung ergibt, Einschränkungen des bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruchs entnehmen....