StPO § 267 Abs. 1 S. 3; OWiG § 71
Leitsatz
Auf einem Radarfoto eingeblendete Daten sind regelmäßig nicht im Wege der Inaugenscheinnahme sondern durch Verlesung als Urkunde bzw. Bekanntgabe i.S.v. § 78 Abs. 1 OWiG zum Gegenstand des Strengbeweises zu machen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn sich ausnahmsweise der gedankliche Inhalt der Urkunde auf einen Blick erfassen lässt. Erschließt sich der Text bereits aus einem flüchtigen Betrachten der Urkunde bei der Inaugenscheinnahme, kann dessen Bedeutung nicht ausgeblendet werden und ist dieser mithin Bestandteil der diesbezüglichen Beweisaufnahme.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 28.2.2018 – 1 OWi 2 Ss Bs 106/17
Sachverhalt
Das AG hat den Betr. wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 45 km/h mit einer Geldbuße von 200 EUR belegt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Das OLG Zweibrücken hat die Rechtsbeschwerde des Betr. gegen das Urteil des AG wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Geldbuße 160 EUR beträgt.
2 Aus den Gründen:
" … I. Nach den Feststellungen des AG überschritt der Betr. am 24.11.2016 um 17:55 Uhr als Fahrer eines Pkws auf der B (…) die dort mittels beidseitig aufgestellten Verkehrszeichen angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h – nach Abzug einer Toleranz von 5 km/h – um 45 km/h. Der Betr. hat vor der Hauptverhandlung durch Schriftsatz seines Verteidigers die Fahrereigenschaft eingeräumt. Die Bußgeldrichterin hat sich hiervon zudem durch einen Vergleich des in der Hauptverhandlung anwesenden Betr. mit dem Messfoto überzeugt. Hinsichtlich der gefahrenen Geschwindigkeit hat die Bußgeldrichterin ihre Überzeugung auf das mittels der Messanlage Vitronic PoliScan Speed, Fabrik-Nr. (…) erzeugte Messergebnis gestützt. Weder die Sachrüge noch die hierzu erhobenen Verfahrensrügen decken Rechtsfehler im Schuldspruch auf:"
1. Soweit der Betr. beanstandet, die Feststellungen der Bußgeldrichterin zur Höhe der gemessenen Geschwindigkeit gründeten nicht auf einer Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung, bestehen bereits Zweifel an der Zulässigkeit der darin liegenden Inbegriffsrüge. Denn die Rechtsbeschwerde verschweigt, dass ausweislich des insoweit unbeanstandet gebliebenen Hauptverhandlungsprotokolls das Messfoto (Bl. 2 d.A.) – einschließlich der darin enthaltenen Datenzeile – in Augenschein genommen worden ist. Der Rechtsbeschwerde ist zwar zuzugeben, dass auf einem Radarfoto eingeblendete Daten regelmäßig nicht im Wege der Inaugenscheinnahme sondern durch Verlesung als Urkunde bzw. Bekanntgabe i.S.v. § 78 Abs. 1 OWiG zum Gegenstand des Strengbeweises zu machen sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8.1.2016 – IV-3 RBs 132/15). Etwas anderes gilt jedoch, wenn sich ausnahmsweise der gedankliche Inhalt der Urkunde auf einen Blick erfassen lässt. Erschließt sich der Text bereits aus einem flüchtigen Betrachten der Urkunde bei der Inaugenscheinnahme, kann dessen Bedeutung nicht ausgeblendet werden und ist dieser mithin Bestandteil der diesbezüglichen Beweisaufnahme (BGH, Beschl. v. 13.12.2013 – 3 StR 267/13, NStZ 2014, 606; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 21.11.2017 – 1 OWi 2 SsBs 35/17 [nicht veröffentl.]). Dies ist hier – was der Senat aufgrund der zulässig erfolgten Bezugnahme in den Urteilsgründen nach §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 S. 3 StPO selbst beurteilen kann – bei der auf dem Radarfoto eingeblendeten Aufzeichnung “150 km/h' der Fall (s.a. KG Berlin, Beschl. v. 12.11.2015 – 3 Ws (B) 515/15, betreffend den Aufdruck “Rotzeit 1,5 s').
Die Rüge wäre aber jedenfalls unbegründet, weil das Urteil auf einem solchen Verfahrensfehler nicht beruhen kann. Dass die – in Augenschein genommene und damit in der Hauptverhandlung erörterte – Messwerteinblendung einen solchen Wert auswies, hat der Verteidiger nicht in Frage gestellt, sondern lediglich die Richtigkeit des dem zugrunde liegenden Messvorgangs bestritten. Ist aber – wie hier – in der Hauptverhandlung der Inhalt eines Schriftstücks erörtert und dessen Inhalt nicht bestritten worden, so kann das Urteil nicht darauf beruhen, dass es nicht – förmlich – verlesen worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 22.9.2006 – 1 StR 298/06, NStZ 2007, 235). Dies gilt auch in Bezug auf eine lediglich in Augenschein genommene Eintragung in der Messwerteinblendung eines Radarfotos (wie hier: OLG Hamm, Beschl. v. 11.5.2017 – 4 RBs 152/17). Hinzu tritt, dass dem Betr. und seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung der ausgewiesene Geschwindigkeitswert offensichtlich bekannt gewesen war. Denn in dem von Rechtsbeschwerde mitgeteilten Beweisantrag (hierzu unter I.2.b) ist der dem Bußgeldbescheid zugrunde liegende Wert von 145 km/h (nach Toleranzabzug) ausdrücklich bezeichnet.
Die Urteilsgründe lassen – was auf die Sachrüge hin zu prüfen ist – in ihrer Gesamtheit auch noch hinreichend erkennen, auf welche Beweisgrundlagen die Bußgeldrichterin ihre Feststellungen zum gemessenen Geschwindigkeitswert gestützt hat (zu den Anforderungen an die Urteilsgründe in Bußgelds...