Mit seinem Urteil vom 15.5.2018 (VI ZR 233/17) hat der BGH eine grundsätzliche Verwertbarkeit von sog. Dashcam-Aufnahmen bejaht, obgleich er die Aufnahmen selbst als rechtswidrig und unzulässig – weil unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen zustande gekommen – ansieht. Das permanente bildliche Aufzeichnen von anderen Verkehrsteilnehmern ist nach dem BGH absolut unzulässig, doch wenn man solch eine unzulässige Filmaufnahme schon mal hat, dann darf sie auch als Beweismittel eingesetzt werden. Das ist ähnlich absurd wie die Straffreiheit von Drogenkonsum, der dazu notwendige Besitz wird aber strafrechtlich sanktioniert.
Ein vorsätzlich rechtswidrig erlangtes Beweismittel ist eine "Frucht vom verbotenen Baum", die zwar gut schmecken mag, aber in einem Rechtsstaat nicht noch als Beweismittel veredelt werden darf, auch wenn dies im Einzelfall zu einem vielleicht ungerechten Urteil führt.
Die Entscheidung des BGH reiht sich ein in eine Vielzahl anderer Entscheidungen zur Verwertbarkeit illegal zustande gekommener Beweismittel im Zivilprozess, bei denen der BGH jeweils auf eine "Einzelfallprüfung" abstellt. Auch das BVerfG (Beschl. v. 20.5.2011 – 2 BvR 2072/10) hält eine unzulässig zustande gekommene Videoaufzeichnung als Beweismittel nicht in jedem Fall für unverwertbar (noch anders Beschl. v. 11.8.2009 – 2 BvR 941/08).
Die vom BGH vorliegend vorgenommene Abwägungsbegründung zugunsten der Verwertbarkeit überzeugt mich jedenfalls nicht. Es gilt, dass in Videoaufzeichnungen ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung von nicht nur am Unfallgeschehen Beteiligten und permanent Gefilmten liegt. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte festgehalten und offenbart werden. Durch die Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials aber werden die beobachteten Lebensvorgänge technisch fixiert und können jederzeit – unkontrollierbar vom Gefilmten – verarbeitet werden.
Diese massiven Grundrechtsverletzungen hat der BGH nicht ausreichend gewürdigt. Zwar mag einem Unfallgeschädigten zugestanden werden, dass er im Einzelfall trotz der Möglichkeit von Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten beweisfällig bleibt, wenn seine Dashcam-Aufnahme nicht nach § 371 ZPO berücksichtigt wird.
Aber wiegt ein Grundrechtsverstoß nicht schwerer als die dann hinzunehmende Unaufklärbarkeit eines zum Blechschaden führenden Verkehrsunfalls? Und warum soll jemand, der vorsätzlich und rechtswidrig Dashcam-Aufzeichnungen fertigt, schutzwürdiger sein als diejenigen, die er gerade durch diese Aufnahmen in ihren Grundrechten verletzt?
Das unkontrollierbare Filmen von Dritten ist auch nicht vergleichbar mit der nach einem Unfallgeschehen verpflichtenden Bekanntgabe von Namen, Anschrift und Versicherung unter den Unfallbeteiligten.
Der BGH hat die Chance gehabt, solch unsägliche Filmerei zu unterbinden, in dem sie als unzulässiges Beweismittel sanktioniert werden. Diese Möglichkeit wurde vertan und stattdessen an die Datenschutzbehörden verwiesen.
Die Folgen dieses Urteils sind noch nicht absehbar. Autohersteller und Mietwagenunternehmen denken darüber nach, serienmäßig Dashcams in ihre Fahrzeuge einzubauen. Fuhr- und Taxiunternehmer wägen bereits seit Langem ab, ob sie nicht lieber ein in der Lebenswirklichkeit sehr unwahrscheinliches Bußgeld wegen datenschutzrechtlichen Verstößen gegenüber der denkbaren Aufklärung von Unfällen in Kauf nehmen. Mir bereitet die Vorstellung Unbehagen, dass man täglich von hunderten Dashcams gefilmt wird.
Und so, wie der Videobeweis dabei ist, den Fußball kaputt zu machen, so werden auf diesem Weg schleichend Grundrechte ausgehöhlt. Und Tatsachenrichter müssen künftig in Verkehrsunfallstreitigkeiten überwiegend als Videoschiedsrichter tätig sein.
Autor: Andreas Krämer
Rechtsanwalt Andreas Krämer, Fachanwalt für Versicherungsrecht und für Verkehrsrecht, Frankfurt/M.
zfs 6/2018, S. 301