“… .Der Antrag ist nach § 62 OWiG zulässig. Die vereinzelt (etwa AG Wetzlar, Beschl. v. 4.1.2012 – 45 OWi 21/11) vertretene Auffassung, die Versagung der Akteneinsicht in eine Bedienungsanleitung sei keine anfechtbare Maßnahme oder Entscheidung der Verwaltungsbehörde i.S.v. § 62 OWiG, sondern diene lediglich der Vorbereitung einer das Bußgeldverfahren abschließenden Entscheidung wird mit der h.M. (etwa Göhler, OWiG, 15. Aufl. 2009, § 62 Rn 3) abgelehnt.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist auch begründet.
Der Verteidiger des ASt. hat im Rahmen des Bußgeldverfahrens, das eine Geschwindigkeitsüberschreitung zum Gegenstand hat, nach §§ 46 OWiG, 147 StPO ein Recht auf Akteneinsicht in alle Unterlagen, die auch dem Gericht oder einem Sachverständigen zur Verfügung gestellt werden. Das Akteneinsichtsrecht im Ordnungswidrigkeitenverfahren umfasst nämlich alle Schriftstücke und Unterlagen, die für den Betr. als belastend oder entlastend von Bedeutung sein könnten (AG Düsseldorf, Beschl. v. 18.10.2011 – 312 OWi 306/11 [b]). Zu den Unterlagen im Bußgeldverfahren, in die hiernach Akteneinsicht zu gewähren ist, gehören sämtliche verfahrensbezogenen Unterlagen der Verwaltungsbehörde, die zu den Akten genommen werden und auf die der Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird. Dieses Recht umfasst damit auch entsprechend der mittlerweile wohl überwiegenden amtsgerichtlichen Rspr. den Einblick in die Bedienungsanleitung des Geräts, mit dem die Geschwindigkeitsmessung erfolgte, damit die richtige Bedienung und Aufstellung des Messgeräts nachvollzogen werden kann.
Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit und dient der Wahrung des rechtlichen Gehörs des Betr. Nur das Einsichtsrecht des Verteidigers in die Bedienungsanleitung eines Geschwindigkeitsmessgeräts ermöglicht es dem Verteidiger, die Polizeibeamten, die die Messung vorgenommen haben, als Zeugen zu der ordnungsgemäßen Durchführung der Messung zu befragen und die ordnungsgemäße Bedienung des Geräts nachzuvollziehen und zu überprüfen (AG Düsseldorf, Beschl. v. 18.10.2011 – 312 OWi 306/11 [b]). Zwar bestehen grds. urheberrechtliche Bedenken gegen eine Fertigung einer Kopie der Bedienungsanleitung (a.A. LG Ellwangen, Beschl. v. 25.10.2010 – 1Qs 166/09; AG Gießen, Beschl. v. 23.9.2011, 5602 OWi 56/11, die jeweils die Existenz eines Urheberrechtsschutzes insgesamt verneinen). Diese Bedenken müssen jedoch im Ordnungswidrigkeitenverfahren zurückstehen.
Es ist insoweit nämlich für eine Prüfung des Vorliegens eines standardisierten Messverfahrens i.S.d. Rspr. des BGH (hierzu: BGHSt 39, 291; 43, 277) notwendig, dass der Messgeräteeinsatz der Bedienungsanleitung entsprechend stattgefunden hat. Kennen weder Verwaltungsbehörde, noch Verteidiger oder Gericht die Bedienungsanleitung, so kann diese Prüfung bei keinem der Verfahrensbeteiligten stattfinden.
Das Gericht stimmt insoweit dem AG Hildesheim, Beschl. v. 29.12.2011 – 31 OWi 27/11 zu, das – hierüber mag im Hinblick auf die rechtliche Würdigung gestritten werden – jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht zutreffend ausgeführt hat: “Jedem Hersteller von Geschwindigkeitsmessgeräten zur Verkehrsüberwachung ist bekannt, dass die mit den Geräten durchgeführten Messungen Gegenstand von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sind und insofern der Prüfung auch durch Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung unterliegen. Vor diesem Hintergrund ist von einer zumindest konkludenten Einräumung entsprechender Nutzungsrechte mit Erwerb des Messgeräts auszugehen (§ 31 Abs. 5 UrhG), zumal anderenfalls alle Messungen mangels Überprüfbarkeit unverwertbar und die Geräte des Herstellers damit letztlich unverkäuflich wären' (ähnlich: AG Düsseldorf, Beschl. v. 18.10.2011 – 312 OWi 306/11 [b]).
Im Übrigen hat der Betroffene auch nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens Anspruch auf die vorliegend von der Verteidigung erbetenen Unterlagen und Auskünfte zur Durchführung der Messung und zwar unabhängig davon, ob die Unterlagen zur Verfahrensakte zu nehmen sind oder nicht (AG Bamberg, Beschl. v. 11.12.2011 – 14 OWi 2311 Js 13450/11). Der Verteidiger darf die überlassenen Unterlagen ohnehin nur für das jeweilige Verfahren verwenden und insb. nicht anderweitig veröffentlichen (AG Heidelberg, Beschl. v. 31.10.2011 – 3 OW1 510 Js 22198/11).
Ein etwaiger Schutz des Urheberrechts müsste also jedenfalls auch hinter dem gewichtigen Recht eines Betr./seines Verteidigers auf Akteneinsicht, welches verfassungsrechtlich durch den Grundsatz auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG und den Grundsatz des fairen Verfahrens geschützt ist, zurückstehen (AG Karlsruhe, Beschl. v. 22.9.2011 – 1 OWi 127/11).
Die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung am Ort der Polizeidienststelle, die die Messung durchgeführt hat, ist im Hinblick auf die hier zwischen dem Sitz der Kreispolizeibehörde und der Niederlassung des Verteidigers liegende Entfernung von etwa 70 km und einer Fahrzeit (laut Routenplaner) von einer Stunde nicht zumutba...