BGB § 253; ZPO § 256 § 286

Leitsatz

1. Ist die Schadensentwicklung noch nicht vollständig abgeschlossen und kann der Kl. deshalb seinen Anspruch ganz oder teilweise nicht beziffern, darf der Kl. den gesamten, auch teilweise bezifferbaren Anspruch, im Wege der Feststellungsklage geltend machen.

2. Ein Feststellungsinteresse gem. § 256 ZPO ist dann zu bejahen, wenn ein Schaden des Kl. noch nicht abschließend feststeht und künftige Schadensfolgen möglich sind, mag auch ihr Umfang und sogar ihr Eintritt ungewiss sein.

3. Im Falle der Verletzung eines absoluten Rechtsgutes setzt das Feststellungsinteresse des Geschädigten bzgl. der Einstandspflicht des Schädigers lediglich voraus, dass der Eintritt künftiger Schadensfolgen möglich, nicht notwendigerweise wahrscheinlich ist. Das Feststellungsinteresse fehlt, wenn bei verständiger Würdigung mit dem Eintritt des Schadens nicht mehr zu rechnen ist.

4. Bei HWS-Distorsionen kann bei der gebotenen ex-ante-Betrachtung nicht ausgeschlossen werden, dass sich aufgrund der Verletzung zukünftige Schäden in zunächst noch unbekanntem Ausmaß ergeben werden.

5. Stellt sich im Rechtsstreit heraus, dass die Folgen einer HWS-Distorsion spätestens 8 Wochen nach dem Unfall folgenlos ausgeheilt waren, bleibt die Feststellungsklage zulässig; diese Feststellung betrifft nur die Begründetheit der Feststellungsklage.

6. Ein Feststellungsurteil gegen eine Versicherungsgesellschaft führt nur dann zu einer endgütigen Streitbeilegung, wenn es ausgeschlossen ist, dass damit auch ein Streit über die Höhe und Unfallbedingtheit des zu ersetzenden Schadens ausgeschlossen ist.

(Leitsätze der Schriftleitung)

Saarländisches OLG, Urt. v. 20.2.2014 – 4 U 411/12

Sachverhalt

Nach einem Auffahrunfall, für den die Bekl. dem Grunde nach in voller Höhe haften, machte der Kl. geltend, bei dem Unfall ein schweres HWS-Syndrom erlitten zu haben und beantragte unter anderem festzustellen, dass der Kl. alle aus dem Unfallereignis resultierenden Schäden zu ersetzen habe. Der Senat nahm nach Beweisaufnahme durch Einholung eines unfallanalytisch-technischen Gutachtens und eines biomechanisch-medizinischen Gutachtens zu den Fragen des Feststellungsinteresses der Kl. und der Begründetheit der Feststellungsklage Stellung.

2 Aus den Gründen:

"Die Feststellungklage ist insgesamt zulässig."

Das gem. § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse der Kl. an der Feststellung der Ersatzpflicht der Bekl. (Feststellungsinteresse) ist gegeben. Das Feststellungsinteresse fehlt weder bezüglich aller bis zur letzten mündlichen Verhandlung entstandenen Schäden noch bezüglich der zukünftig entstehenden Schäden.

a) Ein Feststellungsinteresse ist vorliegend zu bejahen, da die Schadensentwicklung bei Klageerhebung noch nicht endgültig abgeschlossen war.

Eine Feststellungsklage ist nämlich zulässig, wenn die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist und der Kl. seinen Anspruch deshalb ganz oder teilweise nicht beziffern kann (vgl. BGH NJW 1984, 1552, 1554; Geigel-Bacher, a.a.O., 39. Kap., Rn 23). Der Geschädigte könnte daher zwar einen bereits bezifferbaren Teil seines Anspruchs durch Leistungsklage geltend machen und einen ergänzenden Feststellungsantrag nur wegen der weiteren Schäden stellen. Er darf stattdessen aber auch den gesamten Anspruch im Wege der Feststellungsklage geltend machen (vgl. BGH NJW 1984, 1552, 1554); BGH NJW-RR 1988, 445; Geigel-Bacher, a.a.O., 39. Kap., Rn 23; Zöller-Greger, a.a.O., § 256 ZPO, Rn 7a). ist eine Feststellungsklage nach diesen Grundsätzen zulässig erhoben worden, braucht der Kl. auch dann nicht zur Leistungsklage überzugehen, wenn im Laufe des Rechtsstreits der gesamte Schaden bezifferbar wird (vgl. BGH NJW 2006, 439, 440; Geigel-Bacher, a.a.O., 39. Kap., Rn, 23). ist die Schadensentwicklung hingegen schon bei Klageerhebung abgeschlossen, steht dem Kl. grds. nur die Leistungsklage zur Verfügung (vgl. BGH NJW-RR 1988, 445; OLG Düsseldorf MDR 1987, 1032; Geigel-Bacher, a.a.O., 39. Kap., Rn 32).

b) In Bezug auf zukünftigen Schaden ist ein Feststellungsinteresse gem. § 256 Abs. 1 ZPO bei Schadensersatzansprüchen dann zu bejahen, wenn ein Schaden des Kl. noch nicht abschließend feststeht, künftige Schadensfolgen aber, sei es auch nur entfernt, möglich, ihre Art, ihr Umfang und sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind (vgl. BGH NJW 1984, 1552, 1554; NJW 1991, 2707, 2708; NJW 1997, 388, 389; Zöller-Greger, 29. Aufl., § 256 ZPO, Rn 7a; Geigel-Bacher, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., 39. Kapitel, Rn 19).

Ein Feststellungsinteresse gem. § 256 Abs. 1 ZPO setzt auch nach der Rspr. des Senats, von der abzuweichen kein Anlass besteht, im Fall der Verletzung eines absoluten Rechtsgutes bezüglich der Einstandspflicht bezüglich künftiger Schadensfolgen voraus, dass der Eintritt künftiger Schadensfolgen möglich, nicht notwendigerweise wahrscheinlich ist (vgl. Senat, Urt. v. 8.6.2010 – 4 U 468/09 – 134, NJW-RR 2011, 178–180, juris Rn 39; BGH, Urt. v. 16.1.2001 – VI ZR 381/99, NJW 2001, 1432; BGHZ 116, 60 (75); Geigel-Bacher, 19). Diese Rechtsgrundsätze sind...

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