StVG § 7 § 17; Verkehrszeichen 208 und 308
Leitsatz
Das Verbot der Durchfahrt bei Gegenverkehr gem. Verkehrszeichen 208 verpflichtet den Verkehrsteilnehmer zum Unterlassen des Befahrens einer Engstelle, wenn nicht gewiss ist, dass der Gegenverkehr nicht behindert wird. Diese Wartepflicht gilt unabhängig davon, wer die Engstelle zuerst erreicht und ist auch dann zu beachten, wenn sich der Bevorrechtigte der Engstelle mit unzulässig hoher Geschwindigkeit nähert, sofern er bei Einfahrt des Wartepflichtigen auf dem übersehbaren Teil der vor ihm liegenden Fahrbahn erkennbar war.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Bamberg, Urt. v. 3.12.2013 – 5 U 95/13
Sachverhalt
Der von dem Zeugen H gesteuerte Sattelzug der Kl. näherte sich außerhalb einer geschlossenen Ortschaft einer durch eine Brücke bedingten Fahrbahnverengung, in deren Bereich er mit dem entgegenkommenden Pkw des Bekl. kollidierte. In Fahrtrichtung des Sattelzugs war die Engstelle mit dem Verkehrszeichen 208 (Vorrang des Gegenverkehrs), in Fahrtrichtung des Pkw des Bekl. mit dem Verkehrszeichen 308 (Vorrang vor dem Gegenverkehr) beschildert. Die Kl. hat behauptet, der Bekl. habe mit seinem Fahrzeug beim Befahren der Engstelle eine Geschwindigkeit von 120 km/h eingehalten und sei für den Fahrer des Sattelzugs erst erkennbar gewesen, als sich der Sattelzug bereits auf der Mitte der Brücke befunden habe. Der Bekl. hat angeführt, mit seinem Pkw eine Geschwindigkeit von 90–95 km/h eingehalten zu haben; für den Fahrer des Sattelzugs sei das Kfz des Bekl. schon bei dessen Einfahrt erkennbar gewesen. Das LG hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl., die sich mit weiteren Einwänden gegen die ihr nachteilige Haftungsverteilung auseinandersetzte, hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"Der Kl. steht gegen die Bekl. kein Schadensersatzanspruch nach §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 S. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG zu."
Wird ein Schaden durch mehrere Kfz verursacht und sind die beteiligten Fahrzeughalter einem Dritten kraft Gesetzes zum Ersatz des Schadens verpflichtet, so hängt im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insb. davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist (§ 17 Abs. 1 StVG). Wenn der Schaden einem der beteiligten Fahrzeughalter entstanden ist, gilt Abs. 1 auch für die Haftung der Fahrzeughalter untereinander (§ 17 Abs. 2 StVG). Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (BGH NZV 2010, 293, 294 m.w.N.).
1. Darauf, ob der Unfall für den Bekl., wofür dieser beweisbelastet wäre, ein unabwendbares Ereignis gem. § 17 Abs. 3 StVG war, kommt es nicht an, weil, wie vom LG richtig angenommen, im Rahmen der Gesamtabwägung die verbleibende Betriebsgefahr des VW P gänzlich hinter dem durch das Verschulden des Zeugen H erhöhten Verursachungsbeitrags des Sattelzugs zurücktritt.
2. Das LG ist dabei zu Recht von einem Verstoß des Zeugen H gegen die Warteplicht bei Vorrecht des Gegenverkehrs gem. Verkehrszeichen 208 ausgegangen.
a) Ein solcher Verstoß, der für die Kollision auch ursächlich wurde, lag bereits vor, als der Sattelzugführer in die Engstelle einfuhr.
aa) Dabei ist der Erstrichter von dem zutreffenden Ansatz ausgegangen, dass das Verbot der Durchfahrt bei Gegenverkehr gem. Verkehrszeichen 208 den Verkehrsteilnehmer zum Unterlassen des Befahrens einer Engstelle verpflichtet, wenn nicht gewiss ist, dass der Gegenverkehr nicht behindert wird (vgl. BayObLG VRS 25, 365, 366). Diese Wartepflicht gilt unabhängig davon, wer die Engstelle zuerst erreicht, und ist auch dann zu beachten, wenn sich der Bevorrechtigte der Engstelle mit unzulässig hoher Geschwindigkeit nähert, sofern er bei Einfahrt des Wartepflichtigen auf dem übersehbaren Teil der vor ihm liegenden Fahrbahn erkennbar war (vgl. BayObLG VRS 26, 315, 316 f.).
bb) Nach den anhand des eingeholten Sachverständigengutachtens getroffenen Feststellungen des LG, die insoweit von der Kl. im Berufungsverfahren nicht mehr angegriffen werden, war der entgegenkommende VW P, auch unter Zugrundelegung der Variationsbreite der unfallanalytisch in Betracht kommenden Kollisions- (24 bis 69 km/h für den VW P und 28 bis 45 km/h für den Sattelzug) und Annäherungsgeschwindigkeiten (64 bis 109 km/h für den VW P) zweifelsfrei erkennbar, als der Zeuge H in die Engstelle einfuhr. Selbst wenn, was nicht feststeht, indes bei der Feststellung eines Verkehrsverstoßes des Zeugen H zu dessen Gunsten zugrunde zu legen ist, sich der VW P im Gegenverkehr mit bis zu 109 km/h der Engstelle genähert haben sollte, wäre dieser für den Zeugen H nach den Ausführungen des Sach...