VVG § 21 Abs. 3 S. 1
Leitsatz
Die fünfjährige Ausschlussfrist für die Geltendmachung der Rechte des VR wegen einer Anzeigepflichtverletzung des VN nach § 21 Abs. 3 S. 1 VVG entfällt nur dann, wenn während des Fristlaufs die versicherungsmäßigen Bedingungen für die Leistungspflicht des VR eintreten. Allein die Geltendmachung eines Leistungsanspruchs durch den VN für einen in diese Zeit fallenden vermeintlichen Versicherungsfall genügt hierfür nicht.
OLG Braunschweig, Urt. v. 2.12.2015 – 3 U 62/14
Sachverhalt
Die Parteien streiten um den Fortbestand eines Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrages, der aufgrund eines Antrags der Kl. vom 20.9.2004 am 2.5.2005 policiert wurde. Im August 2008 begab sich die Kl. wegen einer depressiven Episode in ärztliche Behandlung, von November 2009 bis November 2011 war sie wegen Depression arbeitsunfähig und befand sich in ambulanter und stationärer Behandlung. Mit einem am 8.4.2011 bei der Bekl. eingegangenen Schreiben machte die Kl. Ansprüche auf eine Berufsunfähigkeitsrente geltend. Daraufhin trat die Bekl. am 7.6.2011 vom Vertrag zurück, weil die Kl. ihr vorvertragliche Erkrankungen verschwiegen habe.
2 Aus den Gründen:
" … 1. Der Rücktritt ist bereits deshalb ausgeschlossen, weil er nicht innerhalb der zwischen den Parteien vereinbarten und mittlerweile auch gesetzlich geregelten Ausschlussfrist von 5 Jahren erklärt wurde. Nach § 6 Abs. 3 S. 1, 1. Halbsatz der AVB kann der VR im Falle der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht binnen 5 Jahren seit Vertragsschluss vom Vertrag zurücktreten. Eine entsprechende gesetzliche Regelung findet sich seit dem 1.1.2008 aufgrund des Gesetzes zur Reform des VVG vom 23.11.2007 (BGBl I S. 2631) in § 21 Abs. 3 S. 1, 1. Halbsatz VVG. Im vorliegenden Fall ist der Versicherungsvertrag mit der Ausfertigung der Versicherungspolice am 2.5.2005 zu Stande gekommen. Die Bekl. hat ihren Rücktritt mit Schreiben vom 7.6.2011 und damit nach Ablauf der Ausschlussfrist erklärt."
Die Fünfjahresfrist gilt allerdings nicht für Versicherungsfälle, die vor Ablauf der Frist eingetreten sind (§ 6 Abs. 3 S. 1, 2. Halbsatz der AVB; § 21 Abs. 3 S. 1, 2. Halbsatz VVG). Dabei meint Eintritt des Versicherungsfalles das Vorliegen der vertragsmäßigen Bedingungen für die Leistungspflicht des VR. Entscheidend ist der objektive Eintritt des Versicherungsfalles, nicht der Zeitpunkt der Geltendmachung des Leistungsanspruchs (vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 3. Aufl., § 21 Rn 21). Die Privilegierung des VR durch die Ausnahme von der Fünfjahresfrist dient der Verhinderung von Missbräuchen (vgl. BT-Drucks 16/5682, 99 … ). Ein Missbrauch ist indes nur dann zu besorgen, wenn der VR Leistungen für einen Versicherungsfall erbringen müsste, für den er wegen einer Anzeigepflichtverletzung nicht einzutreten hätte (vgl. BT-Drucks 16/5682, 99). Liegen die bedingungsmäßigen Voraussetzungen für die Leistungspflicht nicht vor, ist demnach kein hinreichender Grund vorhanden, den VR zu privilegieren. Dementsprechend kann sich der VR auch dann nicht auf die Privilegierung berufen, wenn der VN – wie im vorliegenden Fall – nach Ablauf der Fünfjahresfrist Leistungen für einen Versicherungsfall beansprucht, der vor Ablauf der Frist eingetreten sein soll, tatsächlich aber wegen fehlender Leistungsvoraussetzungen nicht vorliegt.
Im vorliegenden Fall hat das LG den geltend gemachten Leistungsanspruch für den Zeitraum 18.11.2009 bis 27.7.2011 rechtskräftig wegen Fehlens der bedingungsgemäßen Voraussetzungen abgelehnt. Der Leistungsfall ist demnach nicht innerhalb von fünf Jahren nach Vertragsschluss eingetreten, so dass die Ausschlussfrist greift.
Die Bekl. könnte sich auch nicht auf die verlängerte Frist des § 21 Abs. 3 S. 2 VVG berufen. Danach beläuft sich die Ausschlussfrist auf 10 Jahre, wenn der VN die Anzeigepflicht vorsätzlich oder arglistig verletzt hat. Abgesehen davon, dass die zwischen den Parteien vereinbarten AVB in § 6 eine solche Verlängerung der Ausschlussfrist nicht vorsehen, ist im vorliegenden Fall keine vorsätzliche oder arglistige Anzeigepflichtverletzung gegeben …
2. Der Bekl. steht darüber hinaus auch deshalb kein Rücktrittsrecht zu, weil der Kl. keine Anzeigepflichtverletzung vorzuwerfen ist.
Nach dem insoweit anzuwendenden § 16 Abs. 1 S. 1 VVG a.F. hat der VN alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem VR anzuzeigen. Erheblich sind die Gefahrumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des VR, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluss ausüben. Hat der VR ausdrücklich und schriftlich nach einem Umstand gefragt, so wird nach § 16 Abs. 1 S. 3 VVG a.F. widerleglich vermutet, dass diese Gefahr erheblich ist.
Für den Umfang der Anzeigepflicht gilt, dass der künftige VN die in einem Versicherungsantragsformular gestellte Frage nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden grds. erschöpfend zu beantworten hat. Er darf sich daher bei seiner Antwort weder auf Krankheiten oder Schäden von erheblichem Gewicht beschränken noch sonst eine wer...