Ein Kernthema der Entscheidungen zu §§ 73, 74 OWiG war natürlich die Rechtsbeschwerde. Während in den vorherigen Abschnitten bereits einzelne Aspekte der Rechtsmitteleinlegung zur Sprache kamen, soll nunmehr auf die Entscheidungen eingegangen werden, die sich explizit mit der Rechtsbeschwerde, vornehmlich ihrer Begründung, befasst haben.
Zur Frage des Umfangs der Bevollmächtigung wurde konstatiert, dass der Verteidiger mit der Darlegung, er habe über eine "Vertretungs- und Verteidigungsvollmacht" verfügt, ein ausreichender Vortrag zur besonderen Vertretungsmacht für die Stellung eines Entbindungsantrags nach § 73 Abs. 2 OWiG vorliegt. Wenn mit der Rechtsbeschwerde gegen ein Verwerfungsurteil nach OWiG § 74 Abs. 2 gerügt werden soll, dass der Betroffene zu Unrecht nicht von der Erscheinenspflicht in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung entbunden wurde, gehört es zum ordnungsgemäßen Vortrag, dass der Verteidiger, der einen Entbindungsantrag gestellt hatte, die besondere (schriftliche) Vertretungsvollmacht für den Betroffenen hatte und diese dem Bußgeldgericht auch nachgewiesen hat.
Die Verfahrensrüge, in der beanstandet wird, dass der Bußgeldrichter dem Antrag auf Entpflichtung vom persönlichen Erscheinen des Betroffenen zu Unrecht nicht stattgegeben habe, muss aufzeigen, aus welchen Gründen der Tatrichter von seiner Anwesenheit in der Hauptverhandlung einen Beitrag zur Aufklärung des Sachverhalts unter keinen Umständen hätte erwarten dürfen.
Wenn nur die Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG gerügt werden soll, also dass der Betroffene doch genügend entschuldigt gewesen sein soll, müssen genaue Angaben zur angeblich doch genügenden Entschuldigung vorgetragen werden. Dabei ist für den Verteidiger zu beachten, dass ein ärztliches Attest, das "Verhandlungsunfähigkeit" bescheinigt, ungeeignet ist: dies ist ein Rechtsbegriff.
Wird die rechtsfehlerhafte Entscheidung durch ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG beanstandet, kann im Rahmen der insoweit zu erhebenden Verfahrensrüge auf eine genaue und lückenlose Darstellung des Verfahrensgangs wenigstens im Vorfeld des den Einspruch verwerfenden Urteils grundsätzlich nicht verzichtet werden. Erforderlich ist insbesondere die Mitteilung des genauen Inhalts wenigstens derjenigen Schriftsätze, Einlassungen oder sonstigen Stellungnahmen und Eingaben einschließlich der durch sie bedingten gerichtlichen Reaktionen (etwa zu Fragen der Terminierung oder zur Notwendigkeit der Durchführung einer Hauptverhandlung in Anwesenheit des Betroffenen), aus denen sich der Verstoß gegen § 74 Abs. 2 OWiG entnehmen lassen soll.
Die objektive Verletzung des rechtlichen Gehörs war ebenfalls in zahlreichen Entscheidungen Gegenstand des Interesses (siehe schon oben G.). Schon der Umstand, dass einem Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen objektiv hätte entsprochen werden müssen und somit ein Urteil nach § 74 Abs. 2 OWiG nicht hätte ergehen dürfen, begründet die Verletzung des rechtlichen Gehörs. Wird ein Terminsverlegungsantrag unsachgemäß (hier: ansonsten wäre an dem Terminstag kein anderes Verfahren zu der Uhrzeit terminierbar) abgelehnt, stellt das nachfolgende Verwerfungsurteil eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar.
Ein weitergehendes Problem wird durch den Begründungsumfang der Gehörsrüge geschaffen. Dem Grunde nach handelt es sich um eine Verfahrensrüge, die mit vollem Begründungsaufwand erhoben werden muss. Begründet der Betroffene z.B. seinen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde mit der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs, die darauf gestützt wird, dass das Amtsgericht den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ohne Verhandlung zur Sache nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hat, obwohl die Hauptverhandlung nach Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 74 Abs. 1 S. 1 OWiG in Abwesenheit des Betroffenen hätte durchgeführt werden müssen, ist darzulegen, welcher Sachvortrag, der nach § 74 Abs. 1 S. 2 OWiG in die Hauptverhandlung einzuführen gewesen wäre, infolge der Einspruchsverwerfung aber unberücksichtigt geblieben ist. Dem Rügevortrag muss jedenfalls dann, wenn das Entschuldigungsvorbringen nicht schlicht übergangen wurde (dann ausnahmsweise Verzicht auf dieses Erfordernis, s.u.), zu entnehmen sein, ob und gegebenenfalls wie sich der Betroffene im Falle seiner Anhörung geäußert bzw. den Tatvorwurf bestritten hätte.
Es gibt aber Sonderfälle, in denen gerade keine volle Verfahrensrüge erhoben werden muss. Diese sind bisher anerkannt für den übergangenen Entbindungsantrag bzw. das nicht beachtete Entschuldigungsvorbringen. Aber auch wenn das Amtsgericht übersieht, dass es den Betroffenen vom persönlichen Erscheinen entbunden hatte und den Einspruch dennoch nach § 74 Abs. 2 OWiG verwirft, bedarf es zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde keiner Darlegung dazu, welcher Sachvortrag infolge der Verwerfung des Einspruchs nicht berücksichtigt worden ist. Denn ...