Zusammenfassung
Das Abwesenheitsverfahren ist für den Amtsrichter unangenehm. Bereits vor der Hauptverhandlung muss zur Wahrung des rechtlichen Gehörs seitens des Gerichts einiges in die Wege geleitet werden, etwa die Benennung aller in Betracht kommenden Beweismittel. Aber auch der Verteidiger muss sich, Stichwort Haftungsrisiko, um die richtige Vollmacht und deren Anzeige bei Gericht, einen rechtzeitigen Entbindungsantrag und später um eine ordnungsgemäß begründete Verfahrensrüge sorgen. Es ist angesichts der theoretisch hohen Fehleranfälligkeit kein Wunder, dass sich die (OLG-)Rechtsprechung in den Jahren 2010 und 2011 umfassend und sehr variantenreich mit der Problematik der Entbindung des Betroffenen vom persönlichen Erscheinen sowie mit dem Verwerfungsurteil befasst hat. Die Lösungsansätze für diverse Rechtsfragen liegen zwar größtenteils auf einer Linie, sei es hinsichtlich der Vollmacht, des Entschuldigtseins oder des Umfangs der Gehörsrüge, aber dennoch ist die Gesamtlage eher unübersichtlich. Der folgende Beitrag möge, salvo errore et omissione, ein wenig Klarheit in der Materie schaffen.
A. Anwendung der §§ 73, 74 OWiG
In einer Entscheidung musste sich das OLG Zweibrücken mit der Frage auseinandersetzen, ob die Pflicht zum persönlichen Erscheinen und damit die Möglichkeit des Verwerfungsurteils auch im Verfallsverfahren besteht. Das OLG Zweibrücken stellte dabei fest, dass für das Verfallsverfahren im Ordnungswidrigkeitsrecht die hierfür vorgesehenen allgemeinen Verfahrensregelungen anwendbar sind, insbesondere § 74 Abs. 2 OWiG, wenn im selbstständigen Verfallsverfahren das persönliche Erscheinen des Verfallsbeteiligten bzw. seines Vertretungsorgans angeordnet wurde und dieser unentschuldigt nicht zur Hauptverhandlung erscheint. Für den Fortgang des Verfahrens wurde festgehalten, dass die Verfahrensrüge, in der beanstandet wird, dass der Bußgeldrichter dem Antrag auf Entpflichtung vom persönlichen Erscheinen des Betroffenen zu Unrecht nicht stattgegeben habe, aufzeigen muss, aus welchen Gründen der Tatrichter von seiner Anwesenheit in der Hauptverhandlung einen Beitrag zur Aufklärung des Sachverhalts unter keinen Umständen hätte erwarten dürfen. Das bedeutet sowohl für die betroffene Gesellschaft als auch für den Verteidiger zeitlichen und personellen Aufwand, allerdings keine unlösbaren Aufgaben.
B. Beweisaufnahme
Ein wichtiger Aspekt der Rechtsprechung zum Abwesenheitsverfahren ist stets die Beweisaufnahme. Dabei wurden 2010/2011 meist bekannte Grundsätze bestätigt. Ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör liegt vor bei Einführung von Beweismitteln, zu welchen die überdies abwesenden Verfahrensbeteiligten sich bis dahin nicht äußern konnten. Das Gericht muss den Betroffenen bzw. den Verteidiger vorab über die Beweismittel informieren, ggf. Ablichtungen oder die Akte zur Einsicht übersenden. Nicht erforderlich ist allerdings der Hinweis auf die Möglichkeit der Verschlechterung der Rechtsfolge, § 66 OWiG. Bei der Benennung der Beweismittel muss das Gericht zudem darauf achten, dass selbst wenn ein Zeuge im Bußgeldbescheid genannt wird, das Gericht diesen in der Ladung noch einmal benennen muss, um dem Gebot des rechtlichen Gehörs zu genügen. Dem Gericht werden für die Abwesenheitsverhandlung selbst Vorgaben zur Durchführung der Beweisaufnahme gemacht: Wenn vorab Zweifel an der ordnungsgemäßen Aufstellung und Handhabung des Messgeräts geäußert werden, muss das Gericht den Messbeamten als Zeugen vernehmen und darf nicht nur anhand vorhandener Urkunden und Lichtbilder auf die Richtigkeit der Messung schließen. Für den (allerdings anwesenden) Verteidiger gilt bei erlaubter Abwesenheit des Betroffenen, dass es nicht genügt, in der Hauptverhandlung mündlich auf einen vorher schriftsätzlich gestellten Beweisantrag zu verweisen. Dieser ist in der Hauptverhandlung als Beweisantrag neu zu stellen.
C. Entschuldigte Abwesenheit
Ein ganz wesentliches Thema der Entscheidungen zur Entbindung und zum Verwerfungsurteil war die Frage nach der entschuldigten Abwesenheit und inwiefern sich das Gericht damit im Urteil befassen muss.
Zum Dauerbrenner, was der Betroffene bzw. der Verteidiger vortragen muss, um als entschuldigt zu gelten, wurde festgestellt, dass hierfür keine Verhandlungsunfähigkeit vorliegen muss, diese vom Gericht also nicht gefordert werden darf. Gleichzeitig besteht eine Nachforschungspflicht des Gerichts im Freibeweisverfahren nur dann, wenn vor der Hauptverhandlung mehr als pauschale Angaben zur Unpässlichkeit des Betroffenen vorliegen. Vor einem Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG muss z.B. ein mitget...