StGB § 316; StPO § 111a
Leitsatz
Ausnahmsweise kann auch aus dem Verhalten des Fahrzeugführers bei der Kontrolle ein Rückschluss auf dessen (relative) Fahruntüchtigkeit gezogen werden, ohne dass ein alkoholbedingter Fahrfehler festgestellt werden kann. Das setzt aber Auffälligkeiten voraus, die sich unmittelbar auf eine Beeinträchtigung der Fahruntüchtigkeit beziehen.
AG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 24.9.2014 – 11 Gs 472/14 (694 Js 19521/14)
Sachverhalt
Nach den bisherigen Ermittlungen steht folgender Sachverhalt fest:
Am 15.8.2014 befuhr der Beschuldigte mit dem Pkw Audi Q7 öffentliche Straßen in Bitterfeld. Der Beschuldigte missachtete an einer Kreuzung die Vorfahrt des Zeugen und kollidierte mit dessen Fahrzeug. Während der Unfallaufnahme wurde beim Beschuldigten Alkoholgeruch in der Atemluft festgestellt. Eine ihm anschließend entnommene Blutprobe erbrachte einen Wert von 0,65 Promille. Der entstandene Fremdschaden beläuft sich auf ca. 4.000 EUR. Die Feststellung dieses Sachverhaltes beruht auf den Bekundungen der Polizeibeamten und den Lichtbildern vom Tatort, dem ärztlichen Untersuchungsbericht und dem Ergebnisbericht des Instituts für Rechtsmedizin in Halle. Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau hat die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111a Abs. 1 und 3 StPO beantragt. Sie vertritt die Auffassung, dass der Vorfahrtsverstoß auf dem Alkoholeinfluss beruht. Zur Begründung verweist sie auf den ärztlichen Untersuchungsbericht sowie die Beobachtungen der Polizeibeamten beim antreffen des Beschuldigten. Daraus ergebe sich die relative Fahruntüchtigkeit des Beschuldigten.
2 Aus den Gründen:
"Der Antrag war zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a Abs. 1 und 3 StPO nicht gegeben sind. Es besteht kein dringender Tatverdacht einer alkoholbedingten Straßenverkehrsgefährdung. Diese erfordert nämlich die sichere Feststellung, dass die Fahrunsicherheit eine Folge des Alkoholgenusses ist. Bei der sog. absoluten Fahruntüchtigkeit ergibt sich dies aus der Überschreitung des von der Rspr. festgelegten Grenzwertes (zurzeit 1,1 Promille). Vorliegend ist jedoch nur von einem Blutalkoholgehalt von 0,65 Promille auszugehen, d.h. es kommt nur eine sog. relative Fahruntüchtigkeit in Betracht. Es müssen also Umstände vorliegen, die in Zusammenschau mit dem Blutalkoholwert eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit erweisen. Hierbei sind die Anforderungen umso höher, je geringer die Blutalkoholkonzentration ist. Konkret erfordert dies, dass ein alkoholtypischer Fahrfehler festgestellt werden muss, d.h. ein solcher, der in symptomatischer Weise auf die nach Alkoholgenuss typischerweise auftretenden physiologischen und psychischen Folgen hinweist. Ausnahmsweise kann auch aus dem Verhalten des Fahrzeugführers bei der Kontrolle ein Rückschluss auf dessen Fahruntüchtigkeit gezogen werden, ohne dass ein alkoholbedingter Fahrfehler festgestellt werden kann. Das setzt aber Auffälligkeiten voraus, die sich unmittelbar auf eine Beeinträchtigung der Fahruntüchtigkeit beziehen, wie z.B. schwerwiegende Einschränkungen der Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit, mangelnde Ansprechbarkeit, Unfähigkeit zu koordinierter Bewegung und extrem verlangsamte Reaktionen (siehe insgesamt Fischer, Strafgesetzbuch, 61. Aufl. 2014, § 316, Rn 30–41)."
Angewendet auf den vorliegenden Sachverhalt ist damit eine relative Fahruntüchtigkeit nicht feststellbar. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen ist dem Beschuldigten lediglich ein einfacher Vorfahrtsverstoß vorwerfbar. Sowohl aus den Feststellungen des untersuchenden Arztes als auch aus den Beobachtungen der Polizeibeamten ergeben sich keine schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit im oben genannten Sinne.
Der Antrag war deshalb zurückzuweisen.“
Mitgeteilt von RA Steffen Körbs, Bitterfeld-Wolfen
3 Anmerkung:
Die Prüfung des (Ermittlungs-)Richters beim Antrag nach § 111a StPO muss klar unterscheiden, auf welche behaupteten Ausfallerscheinungen des Beschuldigten der Antrag gestützt wird (vgl. NK-GVR/Quarch, 1. Aufl. 2014, § 316 StGB Rn 6). Treffen relevante BAK und Ausfälle im Fahrverhalten zusammen, dürfte die Begründung standardmäßig ausfallen. Vorsicht ist allerdings geboten, wenn der allgemeine Fahrstil des Beschuldigten schon außergewöhnlich ist (Krumm, Fahrerlaubnis – Alkohol – Drogen, 6. Aufl. 2015, S. 104 f.). Deutlich schwieriger ist der Rückschluss aus dem Verhalten bei der Kontrolle auf die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit. Hier handelt es sich nur um Beweisanzeichen, die das Gericht in einer Gesamtschau würdigen muss, z.B. unbesonnenes Benehmen bei Polizeikontrollen (OLG Düsseldorf NZV 1999, 174; OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 17) oder auch das Verhalten nach der Fahrt (BGHSt 31, 42; OLG Köln VRS 67, 246).
RiAG Dr. Benjamin Krenberger
zfs 8/2015, S. 467 - 468