Der vom Schadengutachter kalkulierte Restwert ist seit jeher ein beliebtes Betätigungsfeld der Versicherer. Insoweit kommt es nahezu regelmäßig vor, dass auch bei völlig korrekter Restwertermittlung bezogen auf den regionalen Markt der Versicherer des Geschädigten umgehend nach Erhalt des Gutachtens ein höheres Restwertangebot unterbreitet.
Häufig ist es aber so, dass der Geschädigte nach Erhalt des Gutachtens das Fahrzeug zum dort kalkulierten höchsten Restwertangebot veräußert, da er die Angelegenheit schnell abgewickelt haben möchte.
In diesen Fällen sind einige Versicherer dazu übergegangen, einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht anzunehmen, wenn der Geschädigte vor Veräußerung des Fahrzeugs dem Versicherer nicht durch Zuleitung des Gutachtens und Einräumung einer Überlegungsfrist Gelegenheit gegeben hat, den kalkulierten Restwert zu überprüfen und ggf. ein höheres Restwertangebot abzugeben.
Gestützt bzw. im Wesentlichen aktuell gefördert wird diese Vorgehensweise durch das Urteil des OLG Köln v. 16.7.2012 (NJW-RR 2013, 224 ff.). Das OLG hat in dieser Entscheidung eine entsprechende Verpflichtung jedenfalls grundsätzlich angenommen.
Soweit ersichtlich, ist dieser Rechtssprechung in letzter Zeit bislang lediglich das AG Bünde im Urt. v. 17.6.2014 – 5 C 712/13 – gefolgt.
Früher hatte diese Auffassung vertreten u.a. das OLG Hamm, NJW 1992, 3244 (m.w.N.).
Dieser Rechtsauffassung ist nicht zu folgen. Hat der Geschädigte den Sachverständigen ordnungsgemäß ausgewählt, kann eine vorherige Abstimmung mit der Versicherung vor Veräußerung des Fahrzeugs nicht gefordert werden. Der Geschädigte darf dann auf das Gutachten vertrauen und entsprechend disponieren, d.h. zum gutachterlich kalkulierten Restwert veräußern.
Bereits mit Urt. v. 6.4.1993 (NJW 1993, 1849) hat der BGH entschieden, dass der Geschädigte grundsätzlich nicht verpflichtet sei, vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs das eingeholte Gutachten der Versicherung zur Kenntnis zu bringen. Darüber hinaus dürfe er auf den vom Gutachter kalkulierten Restwert vertrauen. Als Herr des Restitutionsgeschehens dürfe der Geschädigte grundsätzlich selbst bestimmen, wie er mit der beschädigten Sache verfahre. Der Geschädigte sei insoweit nicht gehalten, der Versicherung die Möglichkeit einzuräumen, ein höheres Restwertangebot abzugeben.
Insoweit hat das LG Köln mit Urt. v. 8.10.2014 – 13 S 31/14 ausdrücklich entgegen der Rechtssprechung des OLG Köln ausgeführt, dass der Geschädigte nicht verpflichtet sei, dem Schädiger vor Veräußerung des Unfallfahrzeugs nach dem gutachterlich ermittelten Restwert die Gelegenheit zum Nachweis einer besseren Verwertungsmöglichkeit einzuräumen. Aktuell haben auch das AG Kaiserslautern (Urt. v. 27.6.2014 – 12 C 1759/13), das AG Kulmbach (Urt. v. 8.5.2014 – 70 C 678/13) sowie das AG Hamburg-St. Georg (Urt. v. 5.12.2013 – 915 C 397/13) so entschieden. Bereits in älteren Entscheidungen war eine entsprechende Verpflichtung verneint worden, vergl. z.B. OLG Düsseldorf, VersR 2006, 1657, AG Bochum DAR 2009, 209 und AG Stuttgart NZV 2011, 309 ff. Diese Rechtsauffassung vertritt auch Grüneberg in Palandt, 74. Aufl. 2015, § 249 Rn 17.
Eine Ausnahme kann allenfalls dann gegeben sein, wenn der Geschädigte konkreten Anlass dazu hatte, mit der Veräußerung abzuwarten, etwa weil die Versicherung ihn darum gebeten hatte.
Durch ein solches Abwarten entstehende Mehrkosten, wie z.B. Standkosten, müssten dann aber zu Lasten des Schädigers gehen. Ohne konkrete Anhaltspunkte besteht eine entsprechende Verpflichtung nicht.