Ich werde nie einen Fall vergessen, der mir als junger Anwalt angetragen wurde. Der Vater einer fünfköpfigen afghanischen Asylbewerberfamilie war auf einem Spaziergang völlig schuldlos von einem total betrunkenen Autofahrer, der die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte, totgefahren worden. Gleichwohl hatten die Hinterbliebenen kaum wirklich durchsetzbare Ansprüche. Verdienstausfall, Unterhaltsschaden oder Wegfall einer Haushaltsführung gab es praktisch nicht, weil diese Kosten seit Jahren von staatlichen Stellen getragen wurden. Der getötete Vater durfte bis zum Abschluss des Asylverfahrens nach damaligem Recht nicht arbeiten und es war zudem auch kaum abzusehen, ob er bei fehlender Ausbildung und ohne jegliche Sprachkenntnisse je Arbeit erhalten hätte. Zwar war einige Zeit zuvor durch Wegfall des § 847 S. 2 BGB a.F. ein Schmerzensgeldanspruch des Vaters vererblich geworden, aber auch davon hatten die Hinterbliebenen nichts. Denn der Vater verstarb augenblicklich und ohne Leidenszeit, so dass auch dieser Anspruch rechtlich gegen Null tendierte.
Ein eigenes Schmerzensgeld für die Familie gab und gibt es nicht, weil diese nur mittelbar geschädigt war und der Nachweis, dass "über den Tod hinaus der üblicherweise einhergehende seelische Schmerz eine pathologisch fassbare Gesundheitsstörung von einigem Gewicht und einiger Dauer ausgelöst hat" (so die Rechtsprechung vgl. BGH NJW 1989, 2741, 2743; OLG Naumburg NZV 2005, 530; OLG Nürnberg NJW 1998, 2293), in der Regel nicht gelingt. Der gewaltsame Tod des Vaters war letztlich für die Familie kein großer "Schaden". Es gibt dankbarere Aufgaben im Leben eines Anwalts, als solch ein Ergebnis mitteilen zu müssen.
Wer einen sehr nahen Familienangehörigen auch noch unter gewaltsamen Umständen verloren hat, leidet ein Leben lang darunter. Sein Leben ist, wie zahlreiche Fälle zeigen, aus der Bahn geworfen. Wie will man da den von der Rechtsprechung postulierten "üblichen seelischen Schmerz", welcher darüber hinaus zu einer "eigenen pathologisch fassbaren Gesundheitsstörung" führen muss, definieren? Diese Problematik rückt – anders als in den unzähligen unbekannten täglichen Einzelfällen – dann in den Vordergrund einer breiten Diskussion, wenn wie im Fall des gewaltsamen Germanwings-Absturzes eine Vielzahl von Menschen – meist Eltern – betroffen ist. Gerade der gewaltsame Verlust eines Kindes löst bei den zurückgebliebenen Eltern und – nicht zu vergessen – Geschwistern trotz schwer zu ertragender seelischer Schmerzen kaum einen justitiablen "Schaden" aus.
Im Schadenersatzrecht besteht bei solchen Sachverhalten eine große Gerechtigkeitslücke. Diese zu schließen, wäre Aufgabe des Gesetzgebers. Dabei ist natürlich klar, dass Schmerzensgeld generell nie den Verlust von Leben oder Gesundheit kompensieren, sondern nur eine "billige Entschädigung in Geld" darstellen kann. Natürlich muss angemessen berücksichtigt werden, dass derartige Ansprüche auch nicht ausufern dürfen, damit auf Dauer ein bezahlbarer Haftpflichtversicherungsschutz nicht gefährdet wird. Die konkrete Ausgestaltung eines solchen Schmerzensgeldes muss jedoch, wie heute auch, der tatrichterlichen Rechtsprechung vorbehalten bleiben und sich nach den individuellen Auswirkungen auf die nahen Hinterbliebenen ausrichten. Keine Alternative kann es dagegen sein, dass wie im Germanwings-Fall krampfhaft nach einem ausländischen Gerichtsstand gesucht wird, wo ein solcher Anspruch besteht. Denn dieser Weg ist im Normalfall mangels Anknüpfungstatsachen ohnehin versperrt.
Autor: Andreas Krämer
RA Andreas Krämer, FA für Verkehrsrecht, FA für Versicherungsrecht, Frankfurt a.M.
zfs 8/2016, S. 421