VV RVG Nr. 4120 4122

Leitsatz

Hat sich die Rückkehr des gerichtlich bestellten Sachverständigen aus einer Mittagspause verzögert, ist die dadurch entstandene Wartezeit des Rechtsanwalts bei der Berechnung der für den Längenzuschlag maßgeblichen Hauptverhandlungsdauer ausnahmsweise zu berücksichtigen.

(Leitsatz der Schriftleitung)

LG Ingolstadt, Beschl. v. 8.4.2016 – 1 Ks 11 Js 13880/13

Sachverhalt

In einem Schwurgerichtsverfahren vor dem LG Ingolstadt hat der dem Nebenkläger beigeordnete Rechtsanwalt die Festsetzung der ihm aus der Landeskasse zustehenden Vergütung beantragt. Dabei hat er neben der Terminsgebühr Nr. 4120 VV RVG noch die Zusätzliche Gebühr Nr. 4122 VV RVG, in der Praxis auch Längenzuschlag genannt, geltend gemacht, weil die Hauptverhandlung mehr als 5 Stunden gedauert habe. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die Festsetzung der Zusätzlichen Gebühr abgelehnt, weil die Hauptverhandlung abzüglich der Mittagspause von einer Stunde und 25 Minuten nur 4 Stunden und 50 Minuten gedauert und der Rechtsanwalt somit nicht mehr als 5 Stunden an der Hauptverhandlung teilgenommen habe.

Mit seiner hiergegen gerichteten Erinnerung hat der Nebenklägervertreter sein Vorbringen präzisiert: Die Hauptverhandlung sei um 11.50 Uhr zur Mittagspause unterbrochen worden sei. Um 13.00 Uhr habe die Sitzung mit Einvernahme des rechtsmedizinischen Sachverständigen fortgesetzt werden sollen. Dieser habe sich allerdings noch beim Mittagessen befunden und sei erst verspätet eingetroffen, da das von ihm bestellte Cordon Bleu verbrannt gewesen sei. Der Sachverständige habe dies reklamiert und ein neues Cordon bleu bestellt, was zu einer Verlängerung der Mittagspause geführt habe. Aufgrund dieser Verspätung des Sachverständigen habe die Sitzung erst um 13.15 Uhr fortgesetzt werden können. Die Richtigkeit dieses Sachverhalts hat der Nebenklägervertreter an Eides Statt versichert.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen und hat diese LG Ingolstadt zur Entscheidung vorgelegt.

2 Aus den Gründen:

"II. Die gem. § 56 Abs. 1 RVG zulässige Erinnerung hat in der Sache Erfolg."

Der Längenzuschlag nach Nr. 4122 VV RVG ist vorliegend nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil die Mittagspause in die Dauer der Hauptverhandlung einzurechnen wäre. Der Längenzuschlag ist nach dem Wortlaut von Nr. 4122 VV RVG dann zu gewähren, wenn der Rechtsanwalt mehr als fünf und bis zu acht Stunden an der Hauptverhandlung teilgenommen hat. Da die Hauptverhandlung für die Dauer der Mittagspause unterbrochen wird und da in der Mittagspause mithin eine Hauptverhandlung nicht stattfindet, ist die Mittagspause nach zutreffender Auffassung in den Längenzuschlag nicht einzurechnen (str., wie hier: OLG Koblenz NJW 2006, 1149; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 22.11.2007 – 1 Ws 221/07; OLG München RVGreport 2009, 110 (Burhoff); OLG Braunschweig, Beschl. v. 28.4.2014 – 1 Ws 132/14; zum Meinungsstand OLG Celle NStZ-RR 2007, 391-392).

Der Längenzuschlag ist allerdings wegen der unvorhergesehenen Verspätung der Sachverständigen beim Mittagessen begründet. Da die Hauptverhandlung nach dem glaubhaft gemachten Sachverhalt nicht wie geplant um 13.00 Uhr fortgesetzt werden konnte, weil sich die Gerichtssachverständigen beim Mittagessen verspätet hatten, und da hierdurch für den rechtzeitig um 13.00 Uhr erschienenen Nebenklägervertreter eine zusätzliche Wartezeit von 15 Minuten entstanden ist, ist diese ausnahmsweise in die Dauer der Hauptverhandlung einzurechnen. Denn während dieser Wartezeit, die jederzeit mit Erscheinen der Sachverständigen aus der Mittagspause hatte enden können, hat sich der Nebenklägervertreter für die Fortsetzung der Hauptverhandlung dem Gericht zur Verfügung gehalten.

Eine derartige Wartezeit ist ebenso wie eine unvorhergesehene Wartezeit bei Sitzungsbeginn (vgl. hierzu KG RVGreport 2007, 305 (Burhoff); OLG Stuttgart RVGreport 2006, 32 (Ders.); OLG Braunschweig, Beschl. v. 28.4.2014 – 1 Ws 132/14) oder kleinere Unterbrechungen während der Hauptverhandlung (vgl. hierzu OLG Saarbrücken, Beschl. v. 20.11.2007 – 1 Ws 221/07; OLG München RVGreport 2009, 110 (Ders.); KG, Beschl. v. 4.8.2009 – 2 StE 2/08-2; OLG Frankfurt AGS 2012, 465; OLG Braunschweig, Beschl. v. 28.4.2014 – 1 Ws 132/14) ausnahmsweise der Dauer der Hauptverhandlung hinzuzurechnen, weil sich der Anwalt während der Dauer derartiger Wartezeiten oder Unterbrechungen in allen Fällen gleichsam dem Gericht zur Verfügung hält.

Da sich die Mittagspause somit um 15 Minuten verkürzt und da die entsprechende Wartezeit der Dauer der Hauptverhandlung zuzurechnen ist, hat die Hauptverhandlung insgesamt 5 Stunden und 5 Minuten gedauert, so dass der Längenzuschlag zu gewähren ist.“

3 Anmerkung:

Wie sich bei der Bemessung des Längenzuschlags Pausen auswirken, ist in vielen Einzelheiten umstritten. In der Rspr. der OLG besteht allerdings weitgehend Einigkeit, dass Wartezeiten des Rechtsanwalts bei der Ermittlung der für den Längenzuschlag maßgeblichen Hauptverhandlungsdauer zu berücksichtigen sind (vgl. die Zusammenstellung der Rspr. bei Bur...

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