StPO § 250 § 261
Leitsatz
Stützt das Gericht sein Urteil in einem entscheidungserheblichen Punkt auf dienstliches Wissen, darf solches nur nach Vernehmung der Auskunftsperson in der Hauptverhandlung verwertet werden. Die bloße Bekanntgabe der Auskünfte durch den amtierenden Richter reicht nicht aus.
OLG Naumburg, Beschl. v. 24.2.2016 – 2 Ws 9/16
Sachverhalt
Das AG hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km/h eine Geldbuße und ein Fahrverbot verhängt. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat das OLG Naumburg das Urt. des AG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
"Das Rechtsmittel dringt bereits mit der Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 250 StPO durch, der Erörterung der weiteren Beanstandungen bedarf es deswegen nicht."
Das AG hat festgestellt, dass das hier verwendete Geschwindigkeitsüberwachungsgerät in einem Zeitraum vor und nach dem Tattage häufig repariert und neu geeicht werden musste. Die Ursache der häufigen Reparaturbedürftigkeit wurde zunächst nicht erkannt. Diese Tatsachen begründen zunächst im Ansatzpunkt Zweifel an der Zuverlässigkeit der Geschwindigkeitsmessung. Dies hat das AG nicht verkannt und zu dieser Frage ausgeführt, dass es in mehreren Parallelverfahren von einem Dr. F., einem Mitarbeiter des Geräteherstellers, die überzeugende Auskunft erhalten habe, dass der jeweilige Defekt in keinem Fall zu fehlerhaften Messungen geführt habe, vielmehr habe das Gerät bei Auftreten des Fehlers schlichtweg nicht gemessen. Damit hat das Gericht sein Urt. in einem entscheidungserheblichen Punkt auf dienstliches Wissen gestützt. Solches darf indes nur nach Vernehmung der Auskunftsperson in der Hauptverhandlung verwertet werden (OLG Jena StraFo 2007, 65; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 261 Rn 7); die bloße Bekanntgabe der Auskünfte durch den amtierenden Richter reicht nicht aus.
Die Rüge ist auch entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft formgerecht vorgetragen. Zitate aus dem Urt. sind bei gleichzeitiger Erhebung der Sachrüge, wie hier geschehen, stets entbehrlich. Es bedurfte auch keiner Ausführungen dazu, welche Aussage der Zeuge Dr. F. in einer Hauptverhandlung gemacht hätte, denn die Beanstandung stellt keine Aufklärungsrüge dar, sondern zeigt einen Verstoß gegen §§ 250, 261 StPO auf.“
3 Anmerkung:
Zu unterscheiden ist zwischen offenkundigen und (lediglich) gerichtskundigen Tatsachen. Letztere hat der Richter im Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit zuverlässig in Erfahrung gebracht (BGH NJW 2000, 1204). Die gerichtskundige Tatsache bedarf i.d.R. keines Beweises; zur Wahrung rechtlichen Gehörs ist jedoch ihre ausdrückliche Mitteilung in der Hauptverhandlung erforderlich (BGH NStZ 2013, 121; NStZ-RR 2010, 20). Da eine Beweiserhebung über eine gerichtskundige Tatsache in der Hauptverhandlung nicht stattfindet, kann die Verwertung von zwar dem Gericht, nicht aber den übrigen Verfahrensbeteiligten bekannten Tatsachen zu einer Einschränkung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§ 261 StPO) führen (BeckOK-StPO/Bachler, § 244 Rn 5). Daher sind alle für die Frage der Strafbarkeit des Angeklagten unmittelbar erheblichen Tatsachen in der Hauptverhandlung im Wege des Strengbeweises aufzuklären (BGHSt 6, 292; 26, 56; BGH, NJW 2000, 1204; vgl. zum aus einem Parallelverfahren bekannten Wirkstoffgehalt sichergestellter Betäubungsmittel BGH NStZ 2016, 123).
RiAG Dr. Benjamin Krenberger
zfs 8/2016, S. 470 - 471