ZPO § 387, § 390
Leitsatz
Verweigert ein Zeuge die Aussage mit einer Begründung, die nicht von vornherein abwegig erscheint, dürfen ihm Ordnungsmittel gem. § 390 Abs. 1 ZPO nur dann auferlegt werden, wenn die Gründe im Rahmen eines Zwischenstreits gem. § 387 ZPO rechtskräftig für unerheblich erklärt worden sind.
OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.12. 2011 – 19 W 71/11
Sachverhalt
Der Zeuge blieb seiner Vernehmung mit dem Hinweis auf ein Zollverfahren gegen den Kl. fern. Das LG setzte darauf gegen ihn ein Ordnungsgeld fest. Die sofortige Beschwerde des Zeugen hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des Ordnungsgeldbeschlusses.
2 Aus den Gründen:
“Die sofortige Beschwerde des Zeugen ist begründet. Der angefochtene Beschl. erlegt dem Zeugen zu Unrecht Ordnungsmittel wegen Aussageverweigerung auf. Ordnungsmittel wegen Aussageverweigerung dürfen einem Zeugen gem. § 390 Abs. 1 ZPO nur dann auferlegt werden, wenn der Zeuge die Aussage ohne Angabe eines Grundes oder aus einem rechtskräftig für unerheblich erklärten Grund verweigert hat. Der Aussageverweigerung ohne Angabe eines Grundes steht eine von vornherein abwegige Begründung gleich (OLG Köln, Beschl. v. 12.12.2003, 4 W 9/03, BeckRS 2004, 08366; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 390 Rn 2 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Zeuge hat die Aussage nicht ohne Angabe eines Grundes verweigert, sondern zur Rechtfertigung seines Verhaltens auf ein eigenes Zivilverfahren gegen den Kl. hingewiesen. Diese Begründung erscheint nicht von vornherein abwegig, zumal naheliegt, dass der Zeuge, sofern er die Beweisfrage verneint, dem Kl. die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gegen ihn erleichtert. Danach kommt in Betracht, dass der Zeuge durch den Hinweis auf den zwischen ihm und dem Kl. geführten Rechtsstreit der Sache nach ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 1 ZPO geltend gemacht hat.
Bei dieser Sachlage hätte das LG vor der Entscheidung über Ordnungsmittel nach § 390 Abs. 1 ZPO im Rahmen eines Zwischenstreits gem. § 387 ZPO über die Rechtmäßigkeit der Zeugnisverweigerung entscheiden müssen.
Ob ein Zwischenstreit über die Berechtigung zur Aussageverweigerung noch durchgeführt werden kann, bedarf keiner Entscheidung. Diese Frage dürfte jedoch deshalb zu verneinen sein, weil die Parteien nach der Zeugnisverweigerung streitig und durch Wiederholung ihrer Sachanträge rügelos zur Hauptsache verhandelt haben (BGH NJW-RR 1987, 445; OLG Frankfurt a,M., Urt. v. 12.7.1995, 11 U 12/94, Rn 22).“
Mitgeteilt vom VRi am OLG Martenstein, Frankfurt am Main
3 Anmerkung:
1. Die Aussageverweigerung des Zeugen begründet zwischen ihm und der beweisführenden Partei einen Zwischenstreit, wobei bei Erscheinen des Zeugen sofort über den Zwischenstreit zu verhandeln ist. Bei Anwesenheit der Parteien sind diese zu hören, nach Aktenlage hat das Gericht zu entscheiden, wenn die Parteien nicht anwesend sind (vgl. OLG Koblenz DAVorm 1977, 646; Stein/Jonas-Berger, ZPO, 22. Aufl., § 387 Rn 4). Versäumnisfolgen sind ausgeschlossen (Musielak-Huber, ZPO, 9. Aufl., § 387 Rn 2).
2. Die Parteien haben es allerdings in der Hand, die Entscheidung im Zwischenstreit zu verhindern. Geht der Beweisführer davon aus, das der Zeuge seinen Weigerungsgrund glaubhaft gemacht hat, liegt hierin ein Verzicht auf das Zeugnis; das Gleiche gilt, wenn der Beweisführer der unrechtmäßigen Weigerung nicht widerspricht (vgl. Stein/Jonas-Berger, a.a.O., § 387 ZPO). Allerdings kann der Gegner des Beweisführers die Vernehmung des Zeugen beantragen und den Zwischenstreit mit dem Zeugen weiterführen (§ 399 ZPO).
Die Zeugnisverweigerung kann auf §§ 372a, 383, 384 ZPO gestützt werden. Bei einer vorausgegangenen Morddrohung gegen einen Zeugen ist ein Zeugnisverweigerungsrecht wegen Notstands gem. § 35 StGB angenommen worden (BGH NStZ 1984, 31).
3. Der Beweisführer wird bei einer Aussageverweigerung oft am Wert der Aussage zweifeln und die Weigerung hinnehmen, sodass der Zwischenstreit entbehrlich wird. Hatte sich der Zeuge ordnungsgemäß mit einer nicht offensichtlich abwegigen Begründung auf sein von ihm in Anspruch genommenes Zeugnisverweigerungsrecht berufen, braucht er zum Termin, zu dem er geladen war, nicht zu erscheinen (vgl. auch § 386 Abs. 3 ZPO; OLG Düsseldorf MDR 2010, 712).
RiOLG a.D. Heinz Diehl