Bereits zum 15. Mal werden dieses Jahr die Europäischen Verkehrsrechtstage stattfinden. Diese sind nunmehr seit vielen Jahren in Luxemburg beheimatet, wo auch das Institut für Europäisches Verkehrsrecht, einst gegründet vom deutschen Europaabgeordneten und jetzigen Ehrenpräsidenten Willi Rothley, seinen Sitz hat.
Das Spektrum deckt auch dieses Jahr wieder Themen ab, die derzeit in der europäischen Verkehrspolitik diskutiert werden.
Eines der zentralen Themen ist der provokanten Frage gewidmet, ob und ggf. wie die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit die Entschädigung für Personenschäden begrenzen kann. Ein Problem, das weniger die reichen Staaten Europas betrifft, sondern eher Staaten wie Rumänien, in denen Kompensationszahlungen für den immateriellen Schaden inzwischen direkten Einfluss auf die Berechnung der Versicherungsprämien haben.
Völlig unbekannt ist das Thema allerdings auch in Deutschland nicht. Beispielsweise die Schwierigkeit, die risikoreiche Tätigkeit von Hebammen zu versichern, zeigt, dass auch den deutschen Versicherern eine Querfinanzierung von Risiken nicht mehr unbeschränkt möglich ist. Die in den letzten Jahren von der Rechtsprechung vorgenommene Anhebung des allgemeinen Niveaus der Schmerzensgelder, die noch für diese Legislaturperiode fest vorgesehene Einführung eines Angehörigenschmerzensgeldes und die ständige Ausweitung psychischer Unfallschäden werden auch in Deutschland die Kraftfahrtversicherer in nicht allzu ferner Zukunft dazu zwingen, ihre Prämien neu zu berechnen. Man darf hierbei gespannt sein auf die Diskussion der ethischen und moralischen Frage, ob man beim Opfer eines Verkehrsunfalls sparen darf, um Autofahren für möglichst breite Bevölkerungsschichten bezahlbar zu halten.
Auch mit den rechtlichen Problemen, die intelligente Fahrzeugsysteme hervorrufen, werden sich die Verkehrsrechtstage dieses Jahr beschäftigen. Die Fragen sind dabei so vielfältig, wie die Systeme an sich, so u.a.: Wer hat welche Rechte an den Daten, die das Fahrzeug sammelt? Wer trägt die Verantwortung, wenn die Systeme in das Fahrverhalten eingreifen? Wer haftet, wenn die Systeme versagen?
Der prozessuale Opferschutz schreitet in Europa ebenfalls voran. Der EuGH hat im letzten Jahr entschieden, dass eine Klage, die im Wohnsitzstaat des Geschädigten erhoben wird, auch in dessen Staat dem Regulierungsbeauftragten des ausländischen Versicherers zugestellt werden kann. Dieses Jahr wird in Luxemburg die spannende Frage behandelt werden, ob durch eine negative Feststellungsklage am Unfallort der Klage am Wohnsitz des Geschädigten zuvorgekommen werden kann. Hängt doch vom Ort des zuständigen Gerichts in manchen Fällen auch die Entscheidung ab, nach welchem materiellen Recht sich die Unfallregulierung richtet. Trotz der Rom-II-Verordnung bestimmt sich das anwendbare Recht in den einzelnen Mitgliedstaaten immer noch nicht nach einheitlichen Regeln. Die Unterzeichnerstaaten des Haager Übereinkommens über das auf Straßenverkehrsunfälle anwendbare Recht von 1971 konnten sich bisher nicht dazu durchringen, dessen Anwendung zugunsten einer einheitlichen europäischen Lösung aufzugeben. Die Unterschiede zwischen dem Haager Abkommen und der Rom-II-VO werden daher auf dem Kongress diskutiert werden.
Schließich soll auf den diesjährigen Verkehrsrechtstagen auch der Startschuss fallen für eine UN-Charta zum Verkehrsrecht. Um das erfolgreiche System der 4. und 5. KH-Richtlinie der EU-Staaten auch für andere Staaten zu öffnen, hat eine Kommission unter Leitung des Vizepräsidenten des Instituts für europäisches Verkehrsrecht, Dr. Martin Metzler, einen Entwurf erarbeitet, der bei der Transport-Kommission der UNO in Genf großen Gefallen gefunden hat. Eine UNO-Charta könnte für alle Staaten, die sich bereits am Grüne-Karte-System beteiligen, die Möglichkeit schaffen, den in diesen Staaten lebenden Verkehrsopfern bei internationalen Verkehrsunfällen die Vereinfachung zukommen zu lassen, die das europäische Regulierungssystem vorsieht. Die dazu notwendigen Strukturen sind durch das Grüne-Karte-System spiegelbildlich vorhanden.
Autor: Verena Bouwmann
RAin Verena Bouwmann, FAin für Verkehrsrecht, München
zfs 9/2014, S. 481