Seit einigen Jahren betreiben viele Bußgeldstellen – u.a. Hamburg – vermehrt Verfallsverfahren gegen Fuhrunternehmer, die eine Vielzahl von Überladungen zum Gegenstand haben. In derartigen Massenverfahren werden aufgrund von Durchsuchungen und Beschlagnahme von Buchhaltungsunterlagen sowie durch Auslesen elektronischer Lkw-Waagen vielfach tausende Überladungen offenbar, die in einer Liste zusammengetragen werden, welche in der Folge als Grundlage der Verfallsbescheide bzw. amtsgerichtlicher Urteile herangezogen wird. Diese Vorgehensweise ließ erhebliche Zweifel an der Einhaltung straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlicher Grundsätze bis hin zur Aushöhlung des Grundsatzes "in dubio pro reo" aufkommen. Wirkten die Verfallsbetroffenen beispielsweise hinsichtlich der Benennung der konkreten Frachtentgelte, die durch die überladenen Touren erlangt worden waren, nicht mit, hat die Behörde den Wert des rechtswidrig Erlangten geschätzt. Zwar hat sich an der grds. bestehenden Möglichkeit der Schätzung durch die neue Entscheidung des OLG Hamburg nichts geändert, dennoch wurden nun die Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellung derart erhöht, dass die hiermit angemahnte Verfahrensweise zukünftig sehr viel besser geeignet ist, rechtsstaatlichen Prinzipien gerecht zu werden. In seiner vorherigen Entscheidung zu einem vergleichbaren Fall v. 2.1.2014 (Az: 2-43/13 (RB), 2-43/13 (RB) – 3 Ss OWi 62) hatte das OLG Hamburg im Ergebnis lediglich das Bruttoprinzip bestätigt und gerügt, dass das AG keine hinreichenden Feststellungen zu dem durch die Überladungen erlangten wirtschaftlichen Vorteil getroffen hat. Für die Feststellung rechtswidriger Taten nahmen die Gerichte hiernach weiterhin nur auf die von der Behörde zusammengestellte Liste der einzelnen Fahrten Bezug. Dazu gehörte auch die Summe, die sich durch die Addition der bei den Einzelfahrten erlangten Frachtentgelte ergab und je nach Anzahl der Überladungen häufig im 6-stelligen Bereich lag. Nicht selten räumten die Verfallsbetroffenen, die sich aufgrund der Vielzahl der Fahrten und den horrenden, im Raum stehenden Verfallssummen einem übermächtigen Gegner gegenüber sahen, die Richtigkeit der Tabellen geständig, aber ohne dezidierte Prüfung ein. In der Folge rückten häufig nur noch die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Leistungsfähigkeit der Verfallsbetroffenen in den Fokus. Weshalb es möglicherweise zu Überladungen (Vorsatz/Fahrlässigkeit) kam und ob diese seitens der Nebenbeteiligten gewollt waren oder nicht, spielte dabei – wenn überhaupt – nur eine ganz untergeordnete Rolle.
Diese Vorgehensweise rügt das OLG Hamburg nun als rechtsfehlerbehaftet, mit der Konsequenz, dass künftig wohl grds. über jede einzelne Fahrt Beweis zu erheben ist. Denn Grundvoraussetzung für die Anordnung eines Verfalls ist das Vorliegen einer rechtswidrigen Tat, welche im Falle von Überladungsfahrten nur gegeben ist, wenn diese im öffentlichen Straßenverkehr erfolgt. Dementsprechend müssen bei jeder einzelnen Fahrt neben der Feststellung der Fahrzeugart auch Feststellungen zur gefahrenen Strecke bzw. der Örtlichkeit getroffenen werden. Selbst wenn die Behörden künftig weitreichender recherchieren und ihre Listen um die hier angesprochenen Punkte (Art der Fahrzeuge, Fahrtweg im öffentlichen Straßenverkehr etc.) ergänzen sollten, entbindet dies die AG nicht davon, eigene Feststellungen hierzu zu treffen. Zumal das OLG Hamburg klarstellt, dass ein Geständnis der Verfallsbetroffenen, mit welchem pauschal die Richtigkeit mehrerer hundert differenzierter Einzeldaten bestätigt wird, als Beweis für das Vorliegen der rechtswidrigen Taten nicht geeignet ist.
Die Aufklärung jeder einzelnen Fahrt ist nach den Gründen darüber hinaus auch erforderlich, um das nach § 29a OWiG gebotene Ermessen ordnungsgemäß ausüben zu können. Auch wenn ein Verfall grds. verschuldensunabhängig angeordnet werden kann, soll im Rahmen der Ermessensausübung insb. von Bedeutung sein, ob vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen die Beladungsvorschriften der StVZO zugrundeliegen und ob und ggf. woran sowie in welchem Maße die angenommenen Überladungen für die Verfallsbetroffene bzw. die Fahrer jeweils erkennbar waren. Um dies beurteilen zu können, müssen sich die AG zukünftig mit jeder einzelnen Überladung auseinandersetzen und ggf. durch Vernehmung der Fahrer Beweis darüber erheben, inwieweit eine Bemerkbarkeit gegeben war.
Die sich hieraus ergebende deutliche Anhebung der Anforderungen an ein amtsgerichtliches Urteil im Bereich der Verfallsverfahren ist mehr als begrüßenswert; werden hierdurch rechtsstaatlich unbedenkliche Entscheidungen möglich gemacht und die Position der Verfallsbetroffenen deutlich gestärkt.
RAin Dr. Daniela Mielchen, Hamburg
zfs 9/2015, S. 530 - 534