ZPO § 85 Abs. 3 § 114 ff. § 233 § 236 § 517 § 520
Leitsatz
Eine Partei, der in erster Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, darf grds. davon ausgehen, dass bei unveränderten wirtschaftlichen Verhältnissen auch in der zweiten Instanz ihre Bedürftigkeit bejaht wird. Diese Voraussetzung ist aber dann nicht gegeben, wenn die Partei oder ihr anwaltlicher Vertreter (§ 85 Abs. 2 ZPO) erkennen kann, dass die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht gegeben sind. Das gilt insb. dann, wenn im Hinblick darauf, dass der Partei vom Gericht ein entsprechender Hinweis erteilt worden ist, vernünftigerweise mit einer Verweigerung der Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit zu rechnen ist.
BGH, Beschl. v. 13.1.2015 – VI ZB 61/14
Sachverhalt
Die Kl. verfolgt die Verurteilung des Bekl. zum Ersatz materieller und immaterieller Schäden wegen behaupteter fehlerhafter zahnärztlicher Behandlung. Das LG hat die Klage überwiegend abgewiesen. Der Kl. war in erster Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Das Urteil wurde der Kl. am 5.3.2014 zugestellt. Mit einem am 4.4.2014 beim OLG eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz hat die Kl. unter Beifügung des Entwurfs einer Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung beantragt. Das OLG wies in einer Verfügung v. 29.4.2014 darauf hin, dass Prozesskostenhilfe nach dem derzeitigen Stand nicht bewilligt werden könne, da nicht auszuschließen sei, das der Kl. gegenüber ihrem Ehemann ein Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gem. § 1360 Abs. 4 S. 1 ZPO zustehe. Die Kl. reichte durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz v. 19.5.2014 einen Nachweis über die von ihrem Ehemann zu zahlenden Krankenversicherungsprämien und machte unter Beifügung eines Bahnfahrscheins Kosten für doppelte Haushaltsführung ihres Ehemanns zum Ausschluss eines ihr zustehenden Anspruchs auf einen Prozesskostenvorschuss geltend. Mit Beschl. v. 29.5.2014, der der Kl. am 16.6.2014 zugestellt worden ist, hat das OLG den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Am 26.6.2014 hat die Kl. mit anwaltlichem Schriftsatz Berufung eingelegt, diese begründet und zusätzlich Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist beantragt. Das OLG hat die beantragte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde der Kl. hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[2] "… Die gem. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 S. 4, § 238 Abs. 2 S. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig."
[3] 1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rspr. keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt die Kl. nicht in ihrem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).
[4] 2. Rechtsfehlerfrei hat das BG den Antrag der Kl. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Der Wiedereinsetzungsantrag v. 26.6.2014 ist nicht fristgerecht gestellt worden.
[5] a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden (§ 234 Abs. 1 S. 1 ZPO). Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (§ 234 Abs. 1 S. 2 ZPO). Gem. § 234 Abs. 2 ZPO beginnen die Fristen mit dem Tag zu laufen, an dem das Hindernis behoben ist.
[6] Beide Fristen waren zum Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes v. 26.6.2014 abgelaufen, denn sie haben vorliegend spätestens bei Abfassung des Schriftsatzes v. 19.5.2014 zuzüglich einiger Tage Überlegungszeit (vgl. Senatsbeschl. v. 19.3.2013 – VI ZB 68/12, VersR 2013, 1459 Rn 11) zu laufen begonnen.
[7] b) Nach st. Rspr. des BGH ist eine Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist dann nicht schuldhaft versäumt, wenn der Rechtsmittelkläger innerhalb der Frist Prozesskostenhilfe beantragt hat und auf deren Bewilligung vertrauen durfte (vgl. Senatsbeschl. v. 19.3.2013 – VI ZB 68/12, a.a.O. m.w.N.). Letzteres war hier spätestens bei Abfassung des Schriftsatzes v. 19.5.2014 nicht mehr der Fall.
[8] aa) Allerdings darf eine Partei, der – wie hier der Kl. – in erster Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, grds. davon ausgehen, dass bei unveränderten wirtschaftlichen Verhältnissen auch in der zweiten Instanz ihre Bedürftigkeit bejaht wird (BGH, Beschl. v. 23.2.2000 – XII ZB 221/99, NJW-RR 2000, 1387; v. 23.2.2005 – XII ZB 71/00, FamRZ 2005, 789, juris Rn 8 und v. 17.7.2013 – XII ZB 174/10, FamRZ 2013, 1720, juris Rn 21). Diese Voraussetzung ist aber dann nicht gegeben, wenn die Partei oder ihr anwaltlicher Vertreter (§ 85 Abs. 2 ZPO) erkennen kann, dass die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht gegeben...