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Die Zulassungsrechtsbeschwerde hat als statthaftes Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Entscheidungen der Amtsgerichte in bußgeldrechtlichen Bagatellverfahren erhebliche praktische Bedeutung. Sie ist das einzig zulässige Rechtsmittel im "Massengeschäft" Verkehrsordnungswidrigkeiten. Der ganz überwiegende Anteil der Bußgeldsachen im Straßenverkehr liegt im Bereich der Zulassungsrechtsbeschwerde, in nur ca. 20–30 % enthält der Bußgeldbescheid eine Geldbuße von über 250 EUR oder zusätzlich ein Fahrverbot. Im Zulassungsverfahren wird zunächst seitens des Gerichts untersucht, ob es überhaupt zu einer Prüfung der Richtigkeit der Rechtsanwendung des angefochtenen Urteils kommt. Bedauerlicherweise ist die Erfolgsquote der Verteidigung bei Zulassungsrechtsbeschwerde verschwindend gering, was seine Ursache nicht primär darin hat, dass Bußgeldrichter nahezu unfehlbar wären. Der Beitrag stellt dar, welche Anforderungen aus Betroffenensicht für eine Überwindung der Hürde der besonderen Zulassungsvoraussetzungen erfüllt werden müssen. Zuletzt wird auch die Höhe der Vergütung der anwaltlichen Tätigkeit in der zweiten Instanz dargestellt und zu beachtende Besonderheiten bei rechtsschutzversicherten Mandanten.
A. Grundsätzliche Hinweise
I. Zulässigkeitsfragen
Eine Zulassungsrechtsbeschwerde kommt immer dann zum Zuge, wenn die Voraussetzungen des § 79 Abs. 1 S. 1 OWiG nicht erfüllt sind, also die Rechtsbeschwerde ohne ein besonderes Zulassungsverfahren nicht statthaft ist, insbesondere bei Rechtsmitteln gegen erstinstanzliche Entscheidungen, die den Betroffenen zu einer Geldbuße von nicht mehr als zweihundertfünfzig EUR (Nr. 1) verurteilt haben und auch kein Fahrverbot als Nebenfolge (Nr. 2) verhängt wurde. Zulassungsgründe sind die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (Abs. 1 Nr. 1 2. Fall), die Fortbildung des Rechts (Abs. 1 Nr. 1, 1. Fall) sowie die Versagung rechtlichen Gehörs (Abs. 1 Nr. 2). Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist – bei Verkündung in Anwesenheit des Betroffenen oder seines Rechtsanwalts – binnen einer Woche ab Urteilsverkündung schriftlich beim Amtsgericht einzulegen, bei einer Entscheidung durch Urteil in Abwesenheit oder im Beschlusswege eine Woche nach dessen Zustellung (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 341 StPO). Für den Zulassungsantrag gelten die Vorschriften über die Einlegung der Rechtsbeschwerde gem. § 80 Abs. 3 S. 1 OWiG entsprechend. Sie ist binnen eines Monats ab Zustellung des schriftlichen Urteils zu begründen, vgl. § 345 Abs. 1 S. 2 StPO. Für die Begründung des Rechtsmittels ist die Mitwirkung eines Rechtsanwalts erforderlich, vgl. § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 345 Abs. 2 StPO. Über das Rechtsmittel entscheidet das Oberlandesgericht (§ 121 Abs. 1 GVG, § 79 Abs. 3 OWiG). Gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 337 Abs. 1 StPO ist die Zulassungsrechtsbeschwerde begründet, wenn ein Zulassungsgrund vorliegt, das Gericht eine Gesetzesverletzung begangen hat und das Urteil des Amtsgerichts hierauf beruht. Bei den absoluten Revisionsgründen aus dem Katalog des § 338 StPO ist ein Urteil stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen. Es ist zwischen Fehlern im Verfahren (Verfahrensrüge) und materiell-rechtlichen Fehlern (Sachrüge) in der angefochtenen Entscheidung zu unterscheiden.
II. Entstehungsgeschichte
Das Prinzip des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde in § 80 OWiG wurde mit dem Ordnungswidrigkeitengesetz von 1968 eingeführt und besteht bis heute fort. In späteren Gesetzesreformen wurden v.a. inflationsbedingt die Wertgrenzen schrittweise heraufgesetzt. Der Schwellenwert in § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG von 500 DM aus dem Jahre 1998 wurde seitdem nicht mehr angehoben und nur im Zuge der Euro-Umstellung auf 250 EUR aktualisiert. Weniger gewichtige Ordnungswidrigkeiten in Bagatellhöhe sollen grundsätzlich jeder Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht entzogen sein. Hier ist eine höchstrichterliche Entscheidung nur in Ausnahmefällen möglich. Ferner diente die gesetzliche Regelung der Entlastung der Justiz. Die vom Gesetzgeber getroffene Regelung, die eine Beschränkung der Kontrolle amtsrichterlicher Entscheidungen zur Folge hat, sei auch nicht verfassungswidrig, zumal das Bußgeldverfahren der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten diene, also minder gewichtigen strafrechtlichen Unrechtstatbeständen, die nach allgemeinen gesellschaftlichen Auffassungen als strafwürdig gelten und sich von den kriminellen Vergehen durch den Grad des ethischen Unwertgehaltes unterscheiden. Die in diesem Verfahren verhängten Sanktionen werden daher auch nur als eine nachdrückliche Pflichtenmahnung angesehen und empfunden, die keine ins Gewicht fallende Beeinträchtigung des Ansehens und des Leumundes des Betroffenen zur Folge habe.
B. Mehrere Geldbußen in einem Urteil
Zuweilen we...