Leitsatz
Leben Ehegatten in einer gemeinsamen Wohnung und sind sie deshalb nach der Verkehrsanschauung füreinander als Empfangsboten anzusehen, gelangt eine an einen der Ehegatten gerichtete Willenserklärung grundsätzlich auch dann in dessen Macht- und Zugriffsbereich, wenn sie dem anderen Ehegatten außerhalb der Wohnung übermittelt wird.
(amtlicher Leitsatz des BAG)
Normenkette
BGB § 130 Abs. 1
Kommentar
Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, wann eine Kündigungserklärung dem Kündigungsempfänger zugeht, wenn das Kündigungsschreiben dem Ehegatten des Empfängers außerhalb der Wohnung übergeben wird. Das Urteil betrifft die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses. Die dort entwickelten Grundsätze sind aber auch für die Miete von Bedeutung, weil sich der Zeitpunkt des Zugangs in beiden Fällen nach denselben Vorschriften richtet.
Ein Arbeitgeber hatte einer Angestellten gekündigt. Das Kündigungsschreiben wurde dem Ehemann der Angestellten am Donnerstag, den 31.1.2008 an dessen Arbeitsplatz übergeben. Dieser hat das Schreiben aber erst am Freitag, den 1.2.2008 seiner Ehefrau ausgehändigt. Für die Entscheidung kam es darauf an, ob das Kündigungsschreiben bereits am 31.1.2008 oder erst am 1.2.2008 zugegangen ist.
Eine schriftliche Kündigung wird als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung wirksam, wenn sie dem Empfänger zugeht (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB). Für den Zugang genügt es, wenn die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass unter gewöhnlichen Verhältnissen mit einer Kenntnisnahme zu rechnen ist. Maßgeblich ist die Verkehrssitte, also dasjenige, was allgemein üblich ist. Wird eine Kündigung dem Ehepartner des Kündigungsempfängers in der gemeinsamen Ehewohnung übergeben, so ist der Ehepartner nach der Verkehrsanschauung als Empfangsbote des Kündigungsadressaten anzusehen.
Nichts anderes gilt, wenn die Übergabe des Schreibens außerhalb der Wohnung erfolgt. In beiden Fällen ist nach der Verkehrsanschauung davon auszugehen, dass der Ehegatte das Schreiben dem Kündigungsadressaten aushändigt. Nach diesen Grundsätzen kommt es darauf an, ob der Zugang bereits mit der Übergabe des Schreibens an den Empfangsboten eintritt oder erst dann, wenn mit der Weitergabe der Erklärung an den Adressaten zu rechnen ist.
Das BAG vertritt diese Ansicht. Für den zur Entscheidung stehenden Fall führt das BAG aus, unter normalen Umständen sei mit einer Aushändigung des Kündigungsschreibens am Tag der Übergabe zu rechnen. Dies führt zum Ergebnis, dass das Kündigungsschreiben am 31.1.2008 zugegangen ist.
Wer Empfangsbote ist
Diese Grundsätze gelten nicht nur für Eheleute, sondern für alle Gemeinschaften, die in einer Wohnung zusammenleben, insbesondere also für Lebenspartner und die nichteheliche Lebensgemeinschaft.
Das Mitglied einer Wohngemeinschaft oder ein Untermieter kann dagegen nicht als Empfangsbote des Kündigungsadressaten angesehen werden.
Link zur Entscheidung
BAG, Urteil v. 9.6.2011, 6 AZR 687/09, NJW 2011 S. 2604