Leitsatz
Die Anordnung eines vorläufigen Berufsverbots ist nur dann zulässig, wenn andernfalls erhebliche Gefahren für wichtige Rechtsgüter drohen.
Sachverhalt
Gegen den 70 Jahre alten Beschwerdeführer, der in seiner Arztpraxis drogensüchtige Patienten behandelt, ist ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Anstiftung von Patienten zu Diebstählen sowie der sexuellen Belästigung von Patienten anhängig. Die Erlöse aus den Diebstählen sollten laut Anklage als Bezahlung für Behandlungskosten dienen. Der Arzt ist (nur) wegen Steuerhinterziehung vorbestraft. Die Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht wurde ausgesetzt, um ein Gutachten über seine strafrechtliche Verantwortlichkeit einzuholen. Zugleich ordnete das Gericht gegen ihn ein vorläufiges Berufsverbot an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde verwarf das Landgericht als unbegründet. Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.
Entscheidung
Das Strafgericht kann gemäß § 132a StPO ein vorläufiges Berufsverbots gegen einen Beschuldigten verhängen, wenn dringende Gründe dafür sprechen, dass im Urteil ein "endgültiges" Berufsverbot gemäß § 70 StGB gegen ihn ausgesprochen wird. Ein solches Verbot kann unter anderem angeordnet werden, wenn ein Angeklagter wegen einer rechtswidrigen Tat verurteilt wird, die er unter Missbrauch seines Berufs begangen hat. Zudem muss eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat die Gefahr erkennen lassen, dass er bei fortgesetzter Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit weitere erhebliche Taten, die im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung stehen, begehen wird.
Aufgrund der überragenden Bedeutung der in Art. 12 GG garantierten Berufsfreiheit rechtfertigt aber allein das Vorliegen dieser gesetzlichen Voraussetzungen die Verhängung eines vorläufigen Berufsverbots nicht. Hinzukommen muss, dass die Anordnung erforderlich ist, um bereits vor rechtskräftigem Abschluss des Hauptverfahrens Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter abzuwehren, die aus einer Berufsausübung durch den Beschuldigten resultieren können. Dies ist vom Gericht explizit darzulegen und ausführlich zu erörtern.
Die angefochtene Entscheidung genügte diesen Grundsätzen nicht. Der dringende Tatverdacht in Bezug auf die dem Arzt vorgeworfenen beiden berufsbezogenen Taten begründet für sich gesehen noch nicht die gesicherte Erwartung, er werde auch in Zukunft im Zusammenhang mit der von ihm ausgeübten Tätigkeit strafrechtlich erheblich in Erscheinung treten. Die schon abgeurteilten Steuervergehen waren keine berufsbezogenen Taten. Sie lassen daher keine Rückschlüsse auf eine mögliche Neigung zu, die Ausübung eines Berufs zur Begehung von Straftaten auszunutzen.
Praxishinweis
Ein endgültiges Berufsverbot kann für einen Zeitraum von einem bis zu fünf Jahren ausgesprochen werden. In Extremfällen ist auch ein lebenslängliches Berufsverbot denkbar, etwa bei Anlagevermittlern, die eine Vielzahl von Geschädigten um ihre Vermögenswerte betrogen haben. In jedem Fall erforderlich ist, dass der Beschuldigte die Taten im Rahmen einer "echten" Berufsausübung begangen hat. Bei einer nur vorgetäuschten Berufs- oder Gewerbetätigkeit ist für die Anwendung des § 70 StGB kein Raum. Daneben kann die Verwaltungsbehörde auch ein Gewerbeuntersagungsverfahren auf der Grundlage des § 35 GewO betreiben, wenn der Betroffene gewerberechtlich unzuverlässig ist.
Link zur Entscheidung
BVerfG-Beschluss vom 15.12.2005, 2 BvR 673/05