Leitsatz
Es kann in Ausnahmefällen treuwidrig sein, eine Beschlussanfechtungsklage auf einen Verstoß gegen § 131 AktG zu stützen, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende in der Hauptversammlung dazu aufgefordert hatte, unbeantwortet gebliebene Fragen mitzuteilen, dies aber nicht geschehen ist.
Sachverhalt
Während der Hauptversammlung einer AG stellten Aktionäre mehrere Fragen. Danach bat der Aufsichtsratvorsitzende die Aktionäre, die aus ihrer Sicht noch unbeantworteten Fragen zu Protokoll zu geben. Ein Aktionär beantragte daraufhin sämtliche gestellte Fragen als unbeantwortet zu protokollieren. Danach wurde die Generaldebatte beendet. Eine Aktionärin erhob anschließend Klage gegen die AG und beantragte wegen der Verletzung des Auskunftsrechts der Aktionäre gem. § 131 AktG verschiedene Beschlüsse der Hauptversammlung für nichtig zu erklären.
Das LG Köln wies die Klage ab. Die gestellten Fragen seien entweder vollständig beantwortet oder für die Abstimmung objektiv nicht von Bedeutung gewesen. Zudem sei das Verhalten der Aktionärin treuwidrig, da sie die unbeantwortete Frage nicht nach der entsprechenden Aufforderung des Versammlungsleiters gerügt habe. Daraufhin legte die Klägerin Berufung ein. Bezüglich einer in der Hauptversammlung gestellten Frage stellte das OLG Köln fest, dass diese unbeantwortet geblieben und die Beantwortung zur angemessenen Entscheidung über einen Beschluss objektiv erforderlich gewesen war. Anschließend erörterte das OLG, ob die Rüge einer unbeantworteten Frage treuwidrig ist, wenn ein zur Beantwortung bereiter Versammlungsleiter die Aktionäre in der Hauptversammlung aufforderte, noch unbeantwortete Fragen zu stellen und hierauf keine Rüge erfolgte. Nach Ansicht des LG Köln und Teilen der Literatur sei dies der Fall. Der Aktionär handele rechtsmissbräuchlich, indem er sich in einer späteren Klage auf die unbeantwortete Frage berufe. Somit könnte sich die Aktionärin nicht nachträglich auf die Verletzung des § 131 AktG berufen.
Dem OLG Köln erscheint es (zugunsten des einzelnen Aktionärs) vorzugswürdig, dass ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Aktionärs nur dann vorliegt, wenn er in der Hauptversammlung bewusst eine Nachfrage unterlassen habe. Den Aktionären sei es mangels einer Möglichkeit zur Buchführung sehr schwer möglich, einen Überblick über die gestellten Fragen und Antworten zu behalten. Würde man dem Aktionär aufbürden, diesen Überblick zu behalten, würde dies im Ergebnis zu einer Entwertung des Fragerechts führen. Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch bereits an einem treuwidrigen Verhalten der Klägerin, da hierfür eine gutgläubig gestellte Frage des Versammlungsleiters nach unbeantworteten Fragen erforderlich ist. Hier sei es jedoch für den Versammlungsleiter erkennbar gewesen, dass die Frage unbeantwortet war.
Dem OLG zufolge ist es auch verhältnismäßig, dass der Beschluss wegen einer unbeantworteten Frage für nichtig erklärt wird. Schließlich könnten lediglich Fragen, die für einen objektiv denkenden Aktionär von Bedeutung sind, zur Nichtigkeit des Beschlusses führen.
Hinweis
Das Urteil des OLG stellt eine weitere Entscheidung zum Auskunftsrecht der Aktionäre in der Hauptversammlung und den Auswirkungen bei deren Verletzung auf die Beschlussanfechtungsklage dar. Es stärkt damit die Rechte der Aktionäre, insbesondere deren Auskunfts- und Klagerecht. Für die Praxis ergibt sich daraus, dass die Anzahl der Aktionärsklagen nicht pauschal durch die gutgläubige und ernst gemeinte Aufforderung an die Hauptversammlung, noch unbeantwortete Fragen zu stellen, eingeschränkt werden kann. Allerdings ist weiterhin eine solche Nachfrage in der Praxis sinnvoll, da noch unbeantwortete Fragen beantwortet und somit einige Beschlussanfechtungsklagen, die ansonsten auf die Verletzung des Auskunftsrechts nach § 131 AktG hätten gestützt werden können, vermieden werden.
Link zur Entscheidung
OLG Köln, Urteil v. 28.7.2011, 18 U 213/10.