Leitsatz
Es stellt kein Organisationsverschulden des Rechtsanwalts dar, wenn er für den Fall einer plötzlichen, nicht vorhersehbaren Erkrankung einer allein im Büro verbleibenden Mitarbeiterin am späten Nachmittag des letzten Tages einer zu wahrenden Frist keine besondere Vertretungsregelung aufgestellt hat.
Sachverhalt
Ein Rechtsanwalt hatte eine Berufung nicht innerhalb der am 23.7.2003 ablaufenden Frist begründet. Am 6.8.2003 beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trug er vor, die Berufungsbegründung sei am 23.7.2003 verfasst und unterschrieben worden. Bevor er seine Kanzlei gegen 16.30 Uhr verlassen habe, habe ihm die seit zehn Jahren zuverlässig und sorgfältig arbeitende Bürovorsteherin versichert, sie werde den Schriftsatz noch vor Feierabend per Telefax an das Berufungsgericht senden. Die Bürovorsteherin habe das Büro jedoch kurzfristig verlassen und wegen extremer Kreislaufbeschwerden einen Arzt aufsuchen müssen. Entgegen ihrer Absicht, nach dem Arztbesuch in die Kanzlei zur Erledigung der Angelegenheit zurückzukehren, sei sie dazu gesundheitlich nicht mehr in der Lage gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei kein weiteres Personal mehr in der Kanzlei gewesen. Am 24. und 25.7.2003 habe sich die Bürovorsteherin krank gemeldet. Nach ihrer Rückkehr am 28.7.2003 habe sich die Akte nicht mehr auf ihrem Schreibtisch befunden; vermutlich habe anderes Kanzleipersonal die Akte in den Aktenschrank zurückgelegt. Der BGH gewährte die Wiedereinsetzung.
Entscheidung
Die Vorinstanz war von einem Organisationsverschulden des Anwalts ausgegangen. Ein Rechtsanwalt müsse geeignete Maßnahmen treffen, um Fristversäumnisse wegen Erkrankung des Büropersonals zu verhindern. Dementsprechend müsse er für den Fall der Verhinderung eines mit wichtigen Aufgaben betrauten Mitarbeiters Vertreter bestimmen und deren Einsatz organisatorisch sicherstellen. Dem trat der BGH entgegen.
Ausreichende Anweisungen, wie das Büro in einem solchen Fall zu organisieren ist, hätten das Fristversäumnis nämlich nicht verhindert. Die Frist lief am 23.7.2003 ab. Als die Bürovorsteherin am Spätnachmittag dieses Tages wegen ihrer Kreislaufbeschwerden die Kanzlei verließ, um einen Arzt aufzusuchen, war niemand mehr im Büro anwesend. Mit der Anweisung, den vorgelegten Schriftsatz noch am selben Tag per Telefax abzusenden, hatte der Rechtsanwalt eine hinreichende organisatorische Maßnahme getroffen. Die Bürovorsteherin hat diese Aufgabe allein wegen eines krankheitsbedingten Ausfalls nicht befolgen können. Es kann in einem solchen Fall nicht angenommen werden, dass organisatorische Maßnahmen für den Krankheitsfall dieses Versäumnis verhindert hätten, da niemand mehr im Büro war, der den Vertretungsfall am Tag des Fristablaufs hätte erkennen können. Die Bürovorsteherin, die gesundheitlich nicht in der Lage war, den Schriftsatz abzusenden, hätte sich nicht anders verhalten, wenn konkrete organisatorische Hinweise für den Fall ihrer Krankheit vorgelegen hätten.
Praxishinweis
Der BGH hält ausdrücklich fest, dass ein Anwalt für den konkreten Fall einer plötzlichen, nicht vorhersehbaren Erkrankung einer Mitarbeiterin am späten Nachmittag des letzten Tages einer zu wahrenden Frist keine Vertretungsregelung aufstellen muss. Denn damit wären die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts erheblich überzogen.
Link zur Entscheidung
BGH-Beschluss vom 1.4.2004, I ZB 26/03