Leitsatz
Art. 2 Nr. 1 und Art. 6 Abs. 1 der 6. EG-RL sind in dem Sinn auszulegen, dass die Beträge, die im Rahmen von Verträgen, die der Mehrwertsteuer unterliegende Beherbergungsdienstleistungen zum Gegenstand haben, als Angeld geleistet worden sind, in Fällen, in denen der Erwerber von der ihm eröffneten Möglichkeit des Rücktritts Gebrauch macht und der Hotelbetreiber diese Beträge einbehält, als pauschalierte Entschädigung zum Ausgleich des infolge des Vertragsrücktritts des Gastes entstandenen Schadens – ohne direkten Bezug zu einer entgeltlichen Dienstleistung – und als solche nicht als mehrwertsteuerpflichtig anzusehen sind.
Normenkette
Art. 2 Nr. 1 und Art. 6 Abs. 1 der 6. EG-RL (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 § 3 Abs. 9 UStG)
Sachverhalt
Ein Hotel- und Restaurationsbetrieb beanspruchte Anzahlungen bei Reservierung; diese wurden angerechnet, verfielen aber, wenn der Gast vom Vertrag zurücktrat. Das Hotelunternehmen selbst musste nach einer Regelung in Frankreich den doppelten Betrag bezahlen, wenn es selbst zurücktrat.
Die Finanzverwaltung beurteilte die verfallene Anzahlung als Entgelt für die mit der Reservierung verbundene Tätigkeit und Verpflichtung, die Zimmer vorzuhalten. Der Generalanwalt hatte diese Auffassung bestätigt.
Entscheidung
Die Grundsätze ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen. Die Anzahlung im Hotelsektor soll ein Zeichen für den Abschluss des Vertrags, ein Anreiz für seine Erfüllung und eine pauschalierte Entschädigung für die Nichterfüllungsfolgen sein; als Entschädigung stellt es kein Entgelt für eine Dienstleistung dar und ist nicht umsatzsteuerbar.
Unerheblich sei, dass der Betrag des entstandenen Schadens und die einbehaltene Anzahlung in den meisten Fällen nicht übereinstimmen oder die Zimmer, die durch den Rücktritt frei geworden seien, eventuell mit neuen Gästen belegt werden könnten. Da es sich um eine pauschalierte Entschädigung handle, sei es normal, dass der Schaden höher oder niedriger sein könne als die einbehaltene Anzahlung.
Hinweis
1. Die Besprechungsentscheidung betrifft die Frage, ob die pauschalierte Anzahlung für einen gebuchten Hotelaufenthalt Gegenleistung für eine umsatzsteuerpflichtige Reservierungsleistung ist, wenn der Gast zurücktritt, oder als pauschalierte Entschädigung nicht der USt unterliegt. Hervorzuheben ist, dass im entschiedenen Fall nach der französischen Sonderregelung für das Hotelgewerbe bei Ausübung des Rücktrittsrechts die zurücktretende Partei grundsätzlich vollständig von den Folgen der Nichterfüllung des Vertrags befreit ist, mit der verfallenen Anzahlung also alles abgegolten ist, während in etlichen Mitgliedstaaten in einem solchen Fall auch noch Schadenersatz und Zinsen über den Betrag der einbehaltenen Anzahlung hinaus verlangt werden können.
2. Eine entgeltliche Leistung i.S.d. USt-Rechts liegt nur vor, "wenn zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert" ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, wobei die gezahlten Beträge die tatsächliche Gegenleistung für eine bestimmbare Leistung darstellen, die im Rahmen eines Rechtsverhältnisses, in dem gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, erbracht wurde. Entscheidend war deshalb, ob mit der "verfallenen" Anzahlung die mit der Reservierung verbundenen Leistungen und die Verpflichtung des Hotelbetreibers, mit keinem anderen einen Vertrag zu schließen, der die Einhaltung der mit dem Gast geschlossenen Vereinbarung beeinträchtigt, abgegolten werden. Das hatte der Generalanwalt bejaht. Der EuGH sah das anders.
Der Abschluss eines Vertrags und folglich das Bestehen einer rechtlichen Beziehung zwischen den Parteien ist normalerweise nicht von der Leistung eines Angelds abhängig. Da dieses kein konstitutives Element eines Beherbergungsvertrags darstelle, sei es ein rein fakultatives Element, das in den Bereich der Vertragsfreiheit der Parteien falle. Die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Reservierung fielen auch an, wenn – anders als hier – keine Anzahlung zu leisten sei. Gleiches gelte auch für die Verpflichtung, sich an den Vertrag zu halten, d.h. die für die Leistung erforderlichen Sach- und Personalmittel vorzuhalten. Dies sei eine Verpflichtung, die sich unmittelbar aus dem Beherbergungsvertrag ergebe und nicht auf der Zahlung des Angelds beruhe. Daraus wird deutlich, dass für ein Bindungsentgelt – das für eine im Voraus bestimmte Geltungsdauer eines Angebots vereinbart wird – bei diesen Überlegungen nicht gelte; es ist steuerbar.
Der Umstand, dass das Angeld im Fall der Benutzung des reservierten Zimmers auf den Preis des Zimmers angerechnet wird, bestätige, dass das Angeld keine Gegenleistung für eine eigenständige, bestimmbare Leistung sei.
So weit, so gut: Bleibt die Notwendigkeit, sich von der EuGH-Entscheidung zu vereinbarten Verzugszinsen im Urteil vom 1.7.1982, Rs. 222/81 – BAZ Bausystem –, Slg. 1982, 2527, Rd.-Nrn. 8 bis 11 abzugrenzen. Dort hatte der EuGH entschieden, die in bestimmter Höhe im Vertrag vereinbarten Verzugszinsen seien Entgelt für eine steuerfreie Leistung. De...