Leitsatz
Auch Fälle, in denen die Existenz eines "echten" Unternehmens nur vorgetäuscht wird, um so ohne Bezug zu realen Geschäftsvorfällen fingierte Umsätze anzumelden und Vorsteuererstattungen zu beantragen, sind als Steuerhinterziehung, nicht aber als Betrug, zu werten.
Sachverhalt
Der Angeklagte wollte sich durch ungerechtfertigte Geltendmachung tatsächlich nicht angefallener Vorsteuer binnen kurzer Zeit 1 Mio. DM verschaffen. Zunächst meldete er bei etlichen Finanzämtern fiktive Grundstücks-GbR an, umfür diese Steuernummern zu erhalten. Die Anmeldung der GbR nahm er unter der Firma der ebenfalls nicht existierenden "DOS Steuerberatungs-GmbH" vor und übersandte dabei neben weiteren Geschäftsunterlagen fingierte Gesellschaftsverträge und Vollmachten, die er jeweils unleserlich unterschrieben hatte. Sodann reichte er bei den Finanzämtern für Januar bis August 1999 – zum Großteil gleichzeitig – ebenfalls unleserlich unterzeichnete Umsatzsteuervoranmeldungen mit erfundenen Umsätzen und Vorsteuern ein, um eine Erstattung der sich ergebenden, aber nicht bestehenden Guthaben zu erreichen. Insgesamt kames bei geltend gemachten Erstattungsansprüchen von ca. 3,2 Mio. DM zu Erstattungen von mehr als 750 000 DM. Das LG hat den Angeklagten wegen versuchter und vollendeter Umsatzsteuerhinterziehung, jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung, zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
Entscheidung
Der BGH hat die mit der Revision angefochtene Entscheidung des LG im Wesentlichen bestätigt.§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO knüpft an die Täuschung der Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen an, durch die Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt werden. Steuervorteile in diesem Sinne sind nach § 370 Abs. 4 Satz 2 AO auch Steuervergütungen, die aufgrund eines steuerrechtlich erheblichen Verhaltens dem Täter von der Finanzverwaltung zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Hierzu gehört auch die Erstattung angeblicher Vorsteuern, weil sie sich nach steuerrechtlichen Grundsätzen richtet. Es kommt nicht darauf an, welche tatsächlichen Verhältnisse zugrunde liegen. Zudem ist der durch § 370 AO geschützte Anspruch des Steuergläubigers auf den vollen Ertrag der Umsatzsteuer unabhängig davon betroffen und beeinträchtigt, ob einer geltend gemachten Vergütung ein gegenüber dem Rechnungsempfänger tatsächlich bewirkter Umsatz zugrunde liegt oder ob die Vorsteuererstattung aufgrund einer Täuschung der Finanzbehörden ohne Umsatz erfolgt. Fälle, in denen die Existenz eines Unternehmens nur vorgetäuscht wird, für das Vorsteuererstattungen begehrt werden, sind daher allein als Steuerhinterziehung zu werten. Hieran ändern auch die unleserlichen Namenszeichen unter den Erklärungsvordrucken nichts. Eine eigenhändige Unterschrift ist bei Umsatzsteuervoranmeldungen – im Gegensatz zu Umsatzsteuerjahreserklärungen – nicht erforderlich. Lesbar muss der Namenszug nicht sein; es genügt ein individueller Schriftzug mit charakteristischen Merkmalen, um ihn von anderen Unterschriften unterscheiden zu können. Eine solche im Sinne des Steuerrechts gültige Unterschrift lag im entschiedenen Fall aber vor. Selbst wenn man dies verneinen würde, änderte sich nichts an der Strafbarkeit. Der Mangel der fehlenden Unterschrift ist für § 370 AO grundsätzlich bereits dann unbeachtlich, wenn eine Steuererklärung zwecks Steuerverkürzung oder Erlangung ungerechtfertigter Steuervorteile eingesetzt werden soll. § 370 AO setzt nämlich keine wirksame Steuererklärung voraus, sondern lediglich Bekundungen zu steuerlichen Zwecken, die sogar mündlich oder schlüssig gemacht werden können.
Praxishinweis
Der BGH bestätigt erneut seine Rechtsprechung zum Verhältnis Steuerhinterziehung – Betrug. Dies wirkt sich zumeinen auf die Verfahrensebene aus. Bei Steuerdelikten ermittelt grundsätzlich die Finanzbehörde in eigener Zuständigkeit, während bei Betrugsvorwürfen nur die "normalen" Strafverfolgungsbehörden tätig werden dürfen. Zum anderen können sich massive strafrechtlich nachteilige Konsequenzen für den betroffenen Beschuldigten ergeben. Die Tatbestände des § 370 AO sowie des § 263 StGB entsprechen sich im Strafrahmen. Seit dem 28.12.2001 existiert aber § 370a AO, der die gewerbs- oder bandenmäßige Begehung als Verbrechen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsentzug bedroht, wobei eine Selbstanzeige nicht mehr möglich ist. Fälle wie der hier entschiedene sind als gewerbsmäßige Steuerhinterziehung anzusehen, da der Täter sich ganz offensichtlich eine ständige Einnahmequelle von einigem Gewicht verschaffen wollte. Auch betreffen die Taten Steuern "in großem Ausmaß", da die kritische Schwelle von 50 000 EUR überschritten worden ist. Derartige Hinterziehungshandlungen nach dem 28.12.2001 werden die Gerichte künftig zwingend als Verbrechen – also zwangsläufig mit deutlich höheren Strafen – ahnden müssen.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 27.09.2002, 5 StR 97/02