Auch für die Pflicht, eine andere Arbeitsstelle anzunehmen, gibt es jedoch Grenzen. So kann nicht verlangt werden, dass ein Geschädigter riskiert, seine Restgesundheit weiter zu verschlechtern. Ganz im Gegenteil könnte es dann sein, dass er damit gegen seine Schadenminderungspflicht verstößt. Es ist deshalb herrschende Meinung, dass es einem Geschädigten nicht zugemutet werden kann, eine "überobligationsmäßige" Tätigkeit auszuüben. Erzielt er dadurch Einkünfte, dürfen diese nicht dem Schädiger zu Gute kommen und sind deshalb auf den Erwerbsschaden nicht anzurechnen.
Schwer geschädigten Personen ist es in aller Regel wichtig, einen "normalen" Tagesablauf zu haben. Obwohl es aufgrund der Verletzungen für sie sehr erschwerend und eigentlich unzumutbar sein kann, versuchen sie dennoch, eine berufliche Tätigkeit auszuüben und gehen dabei oft über ihre Belastbarkeitsgrenzen hinaus. In diesen Fällen ist die Erwerbstätigkeit überobligatorisch.
Im konkreten Einzelfall ist deshalb stets zu klären, ob es sich bei der Erwerbstätigkeit eines Geschädigten um eine zumutbare Tätigkeit in Erfüllung der Schadenminderungspflicht oder um eine überobligationsmäßige Tätigkeit handelt.
Einigkeit sollte darüber bestehen, dass bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 % jegliche Erwerbstätigkeit überobligatorisch ist und daraus erzielte Einkünfte nicht dem Schädiger zu Gute kommen können. Eine MdE von 100 % bedeutet nichts anderes als vollumfängliche Erwerbsunfähigkeit.
Auch in einem Fall einer Erwerbsminderung von 80 % hat das OLG Frankfurt entschieden, dass jedwede Tätigkeit als überobligationsmäßig anzusehen ist. Das Gericht führt dazu aus, dass eine solche MdE in der Praxis "einer vollständigen Erwerbsunfähigkeit gleichkommt". Dass der Geschädigte dennoch arbeitet, darf nicht dem Schädiger zu Gute kommen, so dass eine Anrechnung des erzielten Einkommens auf die Schadensersatzleistung nicht erfolgen darf.
Ein typisches Beispiel einer überobligationsmäßigen Tätigkeit ist auch die Arbeit in einer Werkstatt für Behinderte Menschen (WfbM). Gleichwohl wird dies häufig infrage gestellt. In nahezu allen diesen Fällen haben die Geschädigten eine MdE von 100 % und sind deshalb auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar. Eine MdE von 100 % besagt aber, wie schon dargelegt, nichts anderes als eine vollständige Erwerbsunfähigkeit. Dennoch wird immer wieder vertreten, dass das in einer WfbM erhaltene Entgelt von derzeit ca. 200 EUR monatlich auf den Verdienstausfallschaden anzurechnen sei. Diese Auffassung ist abzulehnen. Abgesehen davon, dass eben eine 100 %ige MdE besteht, ist auch zu bedenken, dass das "Entgelt" unabhängig davon gezahlt wird, ob die Tätigkeit wirtschaftlich verwertbar ist oder nicht. Es ist damit eher als reines Taschengeld einzustufen. Eine Anrechnung darf deshalb nicht erfolgen.
Weitere Beispiele für eine MdE von 100 % gibt es insb. bei Hirnschäden, Querschnittlähmungen oder oft auch bei Amputationen. Auch in diesen Fällen ist die Ausübung einer Berufstätigkeit dem Geschädigten konsequenterweise als nicht mehr zumutbar zu werten und somit überobligationsmäßig mit der Folge, dass keine Anrechnung eines erzielten Entgeltes erfolgen darf.
Bei weniger starken Beeinträchtigungen ist auf den konkreten Einzelfall abzustellen und anhand der konkreten Umstände zu prüfen, ob eine überobligationsmäßige Tätigkeit gegeben ist oder nicht.
Fazit: Bei einer MdE von 80 % und höher ist jede Erwerbstätigkeit als überobligationsmäßig zu werten, bei einer niedrigeren MdE – jedenfalls ab 50 % – kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an.