Kommentar
Sachverhalt
In den Rechtssachen C-533/03 (Klage der EU-Kommission gegen den Rat), C-548/03 (Klage des EU-Parlaments gegen den Rat hinsichtlich der Richtlinie 2003/93/EG) und C-549/03 (Klage des EU-Parlaments gegen den Rat hinsichtlich der Verordnung (EG) Nr. 1798/2003) hatten die EU-Kommission bzw. das Europäische Parlament wegen angeblich fehlerhafter Anwendung der Rechtsgrundlage im EG-Vertrag für die Richtlinie 2003/93/EG bzw. die Verordnung 1798/2003 geklagt. Während das EU-Parlament gesonderte Klagen erhoben hatte, hat die Kommission in ihrer Klage sowohl die Richtlinie 2003/93/EG als auch die Verordnung 1798/2003 angesprochen. Die Rechtssachen C-547/03 und C-549/03 waren im Laufe der Verfahren gestrichen worden, so dass der EuGH nur noch in der Rechtssache C-533/03 zu entscheiden hatte.
Gegenstand der Klage der Kommission war die Frage, ob die Richtlinie bzw. die Verordnung zutreffend auf Artikel 93 EG gestützt wurden. Die Kommission war der Auffassung, die Rechtsakte hätten auf Artikel 95 EG gestützt werden müssen. Nach Artikel 93 EG beschließt der Rat nach bloßer Anhörung des EU-Parlaments, während nach Artikel 95 EG das Verfahren der Mitentscheidung des Parlaments gemäß Artikel 251 EG anzuwenden ist.
Nach den weiteren Klagebegründungen gilt nach dem vom EG-Vertrag festgelegten Anwendungsbereich für die Rechtsvorschriften, die die Verbesserung der Bedingungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes bezwecken, grundsätzlich Artikel 95 EG. Artikel 93 EG bestimme Anderes in Bezug auf die indirekten Steuern und weiche als lex speciales von Artikel 95 EG ab. Die weiteren Rechtsvorschriften über Verwaltungsmaßnahmen im Bereich der Steuern, wie die Zusammenarbeit zwischen Steuerbehörden zur Ermöglichung oder Vereinfachung der Steuererhebung, seien nicht speziell Gegenstand dieser Bestimmung. Die Richtlinie und die Verordnung seien daher unter Verstoß gegen die wesentlichen Formvorschriften und unter Verstoß gegen den EG-Vertrag erlassen worden.
Durch folgende Rechtsakte wurde die Verwaltungszusammenarbeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer auf eine neue Grundlage gestellt (Verordnung Nr. 1798/2003 auf der Grundlage des Artikels 93 EG-Vertrag und die Richtlinie 2003/93 auf der Grundlage der Artikel 93 und 94 EG-Vertrag):
- Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 des Rates vom 7. Oktober 2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 218/92 (Amtsblatt EU 2003 Nr. L 264, 1);
- Richtlinie 2003/93/EG des Rates vom 7. Oktober 2003 zur Änderung der Richtlinie 77/799/EWG über die gegenseitige Amthilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten und indirekten Steuern (ABl. EU 2003 Nr. L 264, 23).
Die Verordnung (in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht) ist am 1. Januar 2004 und die Richtlinie am 15. Oktober 2003 in Kraft getreten. Mit der Verordnung Nr. 1798/2003 wurden die bisher für die Amtshilfe in Umsatzsteuersachen zwischen den EU-Mitgliedstaaten bestehenden Regelungen, die Richtlinie 77/799/EWG und die Verordnung (EWG) Nr. 218/92 zu einem einheitlichen Rechtsrahmen zusammengefasst. Im Wesentlichen werden die bisherigen Regelungen und Verfahren der Zusammenarbeit mit den Verwaltungsbehörden anderer EU-Mitgliedstaaten fortgeführt. Die Verordnung enthält detailliertere und klarere Regelungen der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Umsatzsteuer. U.a. werden jetzt die Möglichkeiten der Übertragung der Zuständigkeiten für den Auskunftsaustausch in Umsatzsteuersachen, Anwesenheit von Bediensteten in einem anderen Mitgliedstaat und der Durchführung gleichzeitiger Prüfungen explizit geregelt. Mit der Änderungsrichtlinie wurde gleichzeitig die Umsatzsteuer aus dem Anwendungsbereich der Amtshilferichtlinie ausgenommen und der Bereich der Steuern auf Versicherungsprämien darin aufgenommen.
Entscheidung
Der EuGH hat die Klage (Feststellung der Nichtigkeit von sowohl Amtshilferichtlinie als auch Zusammenarbeitsverordnung) insgesamt zurückgewiesen. Die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1798/2003 sind nach der Entscheidung geeignet, zu einer Angleichung der nationalen Verfahrensvorschriften im Bereich der Steuern beizutragen. Die Verordnung Nr. 1798/2003 hat die Angleichung von Verfahrensvorschriften im Bereich der Steuern zum Ziel und zum Inhalt, um die Erhebung der Mehrwertsteuer zu erleichtern und dadurch die Einnahmen der Mitgliedstaaten aus dieser Steuer zu erhöhen. Verfahrensvorschriften im Bereich der Steuern müssen, soweit es um die Anwendung des Artikels 95 Absatz 2 EG-Vertrag geht, als "Bestimmungen über die Steuern" im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden. Von daher ist nach dem EuGH-Urteil Artikel 95 Absatz 1 EG-Vertrag nicht die richtige Rechtsgrundlage für den Erlass der Verordnung Nr. 1798/2003.
Die Ziele und der Inhalt der Richtlinie 77/799 sind nach der Entscheidung weitgehend mit denen der Verordnung Nr. 1798/2003 vergleichbar ...