Leitsatz
Art. 52 EGV (nach Änderung jetzt Art. 43 EG) verbietet es, dass einem gebietsansässigen Steuerpflichtigen von dem Staat, in dem er wohnt, die Zusammenveranlagung zur ESt mit seinem Ehegatten, von dem er nicht getrennt lebt und der in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, mit der Begründung versagt wird, dieser habe in dem anderen Mitgliedstaat sowohl mehr als 10 % der gemeinsamen Einkünfte als auch mehr als 24.000 DM erzielt, wenn die Einkünfte, die der Ehegatte in dem anderen Mitgliedstaat erzielt, dort nicht der ESt unterliegen.
Normenkette
§ 1 Abs. 3, § 1a Abs. 1 Nr. 2, § 26 Abs. 1 EStG 1997, Art. 43 EG
Sachverhalt
Der Kläger ist österreichischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Deutschland. Seine Ehefrau, die Beigeladene, wohnt in Österreich.
Der Kläger erzielte im Streitjahr 1997 in Deutschland Einkünfte aus selbstständiger Arbeit sowie aus Gewerbebetrieb i.H.v. insgesamt 138.422 DM. Die Beigeladene war im Streitjahr nicht berufstätig. Sie erhielt von der Republik Österreich im Streitjahr verschiedene Lohnersatzleistungen von zusammen mehr als 200.000 öS ausgezahlt.
Für das Streitjahr beantragten der Kläger und die Beigeladene die Zusammenveranlagung nach §§ 26, 26b EStG 1997. Das FA lehnte dies ab und führte eine Einzelveranlagung durch. Es war der Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 1a Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 1 Abs. 3 EStG 1997 nicht gegeben seien.
Zum einen liege der Anteil der inländischen Einkünfte beider Ehegatten unter 90 %. Zum anderen sei auch die absolute Grenze des § 1 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG 1997 von 24.000 DM überschritten, da die Beigeladene Lohnersatzleistungen von insgesamt umgerechnet 26.994,73 DM vom österreichischen Staat bezogen habe. Diese Lohnersatzleistungen seien nicht nach § 3 Nr. 1 Buchst. d EStG 1997 steuerfrei. Deshalb seien diese als wiederkehrende Bezüge i.S.d. § 22 Nr. 1 EStG 1997 bei der Prüfung der Wesentlichkeitsgrenze des § 1 Abs. 3 EStG 1997 einzubeziehen.
Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg (EFG 2005, 612).
Das FG legte § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG "europarechtskonform" aus und gewährte den beanspruchten Vorteil in Deutschland.
Entscheidung
Der BFH setzte im anschließenden Revisionsverfahren das Verfahren aus und rief den EuGH mit folgender Frage an:
Widerspricht es Art. 59 des EG-Vertrags, wenn der im Inland beschränkt steuerpflichtige Angehörige eines Mitgliedstaats die Erstattung der auf seine inländischen Einnahmen entfallenden und im Weg des Steuerabzugs erhobenen Steuer nur dann beanspruchen kann, wenn die mit diesen Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben höher sind als die Hälfte der Einnahmen?
Der EuGH hat das wie im Leitsatz ersichtlich beantwortet und damit das FG-Urteil bestätigt.
Hinweis
Das Urteil des EuGH beantwortet die Vorlagefragen des BFH in dessen Vorabentscheidungsersuchen vom 28.6.2005, I R 114/04 (BFH-PR 2005, 873).
1. Beanspruchen Eheleute den Vorteil des Ehegatten-Splittings gem. §§ 26, 26b EStG, dann schadet es zwar nicht, wenn einer der Ehegatten in einem anderen EG-Mitgliedstaat wohnt. Es genügt gem. § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG, wenn – erstens – einer von ihnen die Voraussetzungen der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG oder der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG erfüllt und zugleich Staatsangehöriger eines EG-/EWR-Staats ist und wenn – zweitens – der andere Ehegatte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im EG-/EWR-Ausland hat.
2. Allerdings müssen die Eheleute die Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG einhalten. Und danach dürfen die Einkünfte beider Ehegatten im Kalenderjahr – erstens (= relativ) – mindestens zu 90 % der deutschen ESt unterliegen oder – zweitens (= absolut) – die nicht der deutschen ESt unterliegenden Einkünfte den Betrag von 24.000 DM (heute: 6.136 €) nicht übersteigen.
3. Die innerhalb dieser Grenzen bestimmten Einkünfte sind nach deutschem Recht zu ermitteln, was ein zweistufiges Vorgehen erfordert: Zunächst ist das Welteinkommen beider Ehegatten unter Einschluss aller steuerbaren und steuerpflichtigen Inlands- und Auslandseinkünften zu ermitteln. Sodann sind jene Einkünfte auszusondern, die nicht der inländischen "Besteuerung unterliegen".
Zur ersten Prüfungsstufe: Im Urteilsfall wohnte der (klagende) Ehemann in Deutschland und erzielte dort Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit. Die Ehefrau lebte in Österreich und vereinnahmte dort steuerfrei Lohnersatzleistungen. Das Welteinkommen der Eheleute war sonach unter Einbeziehung jener Ersatzleistungen der Ehefrau zu berechnen.
Zur zweiten Prüfungsstufe: Von dem so ermittelten Gesamtbetrag ist der der deutschen Besteuerung unterliegende Anteil zu errechnen.
4. Auf dieser Basis war der BFH in seinem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH vorgegangen. Das zu Ende gedacht (und gerechnet) hätte das Ehepaar im Inland über ein zu geringes Gesamteinkommen verfügt; die erstrebte Zusammenveranlagung wäre auf der Strecke geblieben.
Der EuGH schiebt solche Überlegungen aber im E...