Abfindung ausgeschiedener Gesellschafter bei Insolvenz erst nach Befriedigung aller Gläubiger
Hintergrund
Der Kläger war ehemaliger Kommanditist einer GmbH & Co. KG (nachfolgend: „KG“) und zugleich Gesellschafter der Komplementär-GmbH. Nach Einziehung des Geschäftsanteils des Klägers an der GmbH und Ausscheiden des Gesellschafters sowohl aus der KG als auch aus der Komplementär-GmbH klagte der ehemalige Gesellschafter auf Zahlung von Abfindung gegen beide Gesellschaften. Das erstinstanzliche Gericht gab der Klage teilweise statt.
Im Laufe des Berufungsverfahrens wurde das Insolvenzverfahren über beide Gesellschaften eröffnet. Daraufhin meldete der ehemalige Gesellschafter seine Abfindungsforderungen jeweils zur Insolvenztabelle an und klagte nunmehr auf Feststellung der Forderungen zur Insolvenztabelle. Der Insolvenzverwalter bestritt die Abfindungsforderungen. Das Berufungsgericht erkannte einen Teil des Abfindungsanspruchs gegen die Komplementär-GmbH als einfache Insolvenzforderung (§ 38 InsO) an. Die Abfindungsforderung gegen die KG qualifizierte das Berufungsgericht hingegen als nachrangige Insolvenzforderung im Sinne von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Hiergegen wandte sich der Kläger mit der Revision.
Das Urteil des BGH vom 28.01.2020, Az. II ZR 10/19
Die vom Kläger eingelegte Revision hatte keinen Erfolg. Der BGH entschied, dass die Abfindungsforderung des vor der Insolvenz ausgeschiedenen Gesellschafters erst nach der Befriedigung aller Gläubiger aus dem Überschuss bei der Schlussverteilung zu bedienen sei (§ 199 InsO). Eine Qualifizierung als einfache Insolvenzforderung gem. § 38 InsO oder nachrangige Forderung im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO komme nicht in Betracht.
Grund hierfür sei – so der BGH – die Einordnung des Abfindungsanspruchs als sog. Gläubigerrecht eines (ehemaligen) Gesellschafters, der zwischen vorrangigen Drittgläubigerrechten und mitgliedschaftlichen Rechten der Gesellschafter stehe. Für dieses Gläubigerrecht seien die haftungs- oder kapitalerhaltungsrechtlichen Bindungen in der Insolvenz zu berücksichtigen. Zwar seien Gläubigerrechte aus dem Gesellschaftsverhältnis entstanden; gleichzeitig hätten sie sich jedoch von der Mitgliedschaft gelöst und rechtlich verselbständigt. Diese „Zwischenstellung“ der Gläubigerrechte erfordere, dass gesellschaftsrechtliche Bindungen des Abfindungsanspruchs auch in der Insolvenz berücksichtigt würden. Dies gelte insbesondere für haftungs- oder kapitalerhaltungsrechtliche Bindungen. Andernfalls würde der Zweck dieser Bindungen, d.h. die Sicherung geleisteter Hafteinlagen bei der Kommanditgesellschaft und der Erhalt des Stammkapitals bei der GmbH als Haftungsmasse bzw. Befriedigungsreserve Gläubiger, unterlaufen. Ob eine Auszahlung gegen den Kapitalerhaltungsgrundsatz verstoße, richte sich hierbei nach dem Zeitpunkt der Auszahlung und nicht nach dem Zeitpunkt des Entstehens des Abfindungsanspruchs.
Der BGH befand, dass vorliegend eine Auszahlung der Abfindung eine bereits bestehende Unterbilanz bei der GmbH vertiefen würde. Aus diesem Grund stehe der Auszahlung der Grundsatz der Kapitalerhaltung (§§ 30, 31 GmbHG) entgegen. Dieser Grundsatz gelte der bei der GmbH & Co. KG entsprechend. In der Folge müsse der ehemalige Gesellschafter trotz seines Ausscheidens weiterhin wie ein noch an der Gesellschaft beteiligter Gesellschafter behandelt und gegenüber anderen Gläubigern als nachrangig eingestuft werden. Im Ergebnis könne der Abfindungsanspruch daher erst nach Befriedigung aller Gläubiger und nur aus dem Übererlös bei der Schlussverteilung nach § 199 InsO berücksichtigt werden.
Anmerkung
Mit der Entscheidung hat sich der BGH erstmals zur Einordnung eines Abfindungsanspruchs eines vor der Insolvenz ausgeschiedenen Gesellschafters geäußert. Die Entscheidung hat weitreichende Folgen. Denn stehen einer Auszahlung, wie hier, haftungs- oder kapitalerhaltungsrechtliche Regeln entgegen, so ist der ehemalige Gesellschafter trotz seines Ausscheidens wie die übrigen Gesellschafter auf einen etwaigen Liquidationsüberschuss beschränkt. Da der BGH für die Beurteilung auf den Zeitpunkt der (jeweiligen) Auszahlung abstellt, kann der ausgeschiedene Gesellschafter – je nach Ausgestaltung der Zahlungsmodalitäten im Gesellschaftsvertrag (insb. bei Ratenzahlungen über mehrere Jahre) – erheblichen Risiken ausgesetzt sein. Dies gilt umso mehr, da der ehemalige Gesellschafter nach seinem Ausscheiden keinen Einfluss mehr auf die Geschäfte der Gesellschaft hat. Nach der Rechtsprechung des BGH ist es zwar möglich, dass die verbliebenen Gesellschafter für die Zahlung der Abfindung persönlich haften (BGH, Urteil vom 24.01.2012, II ZR 109/11); dies setzt aber (wie der BGH in einem Urteil vom 10.05.2016, II ZR 342/14 entscheiden hat) voraus, dass ein treuewidriges Verhalten der verbliebenen Gesellschafter vorliegt.
Die Entscheidung des BGH verdeutlicht den Konflikt zwischen einem ausgeschiedenen Gesellschafter und der Gesellschaft / den verbliebenen Gesellschaftern: Der ausgeschiedene Gesellschafter wird eine möglichst hohe und sofort fällige Abfindung anstreben, wenn er schon aus der Gesellschaft ausscheiden muss und seine Anteile verliert. Die Gesellschaft / die verbliebenen Gesellschafter streben (im Rahmen der von der Rechtsprechung gesetzten Grenzen) eine möglichst niedrige und ratierlich zahlbare Abfindung an, allein schon um die Liquidität der Gesellschaft möglichst zu schonen. Bis zur vollständigen Bezahlung der Abfindung bleibt die Bindung des ausgeschiedenen Gesellschafters an die Gesellschaft noch erhalten. Und sie wandelt sich nicht in eine normale Gläubigerstellung um.
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