BGH zum Stimmverhalten in der GmbH - falsch ist nicht gleich treuwidrig
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Hintergrund
Die beklagte GmbH ist eine Konzernholdinggesellschaft, das operative Geschäft wird an zahlreichen Standorten jeweils durch eine Enkelgesellschaft betrieben. An der Holding sind zwei Gesellschafter beteiligt, wobei die Klägerin mit 21,62 % die kleinere Beteiligung hält. Laut der Satzung erfordern Gesellschafterbeschlüsse eine Mehrheit von 80 % der abgegebenen Stimmen. Die Geschäftsführung der Beklagten hatte Vorschläge für neue Standorte erarbeitet und diese den Gesellschaftern im Umlaufverfahren vorgelegt. Die Mehrheitsgesellschafterin hatte mitgeteilt, dass ihrerseits keine Einwände bestünden, eine Vorlage an die Gremien der Gesellschaft (Gesellschafterversammlung und Beirat) jedoch unterbleiben könne. Die Klägerin verlangte dennoch eine Abstimmung im Gesellschafterkreis. Während sie für sämtliche Standortmaßnahmen stimmte, stimmte die Mehrheitsgesellschafterin in neun Fällen dagegen. Die Klägerin begehrte die Nichtigerklärung der ablehnenden neun Beschlüsse und die Feststellung, dass die Gesellschafterversammlung den gegenständlichen Maßnahmen zugestimmt habe.
Das Urteil des BGH vom 12.04.2016 – II ZR 275/14
Das Berufungsgericht hatte sich der Argumentation der Klägerin angeschlossen und befunden, bei Gesellschafterbeschlüssen über Geschäftsführungsmaßnahmen habe grundsätzlich das Gesellschaftsinteresse im Vordergrund zu stehen. Da im vorliegenden Fall unter den Gesellschaftern Einigkeit darüber herrschte, dass auch die Eröffnung der neun streitgegenständlichen Standorte im Interesse der Gesellschaft lag, sei das Abstimmungsverhalten der Mehrheitsgesellschafterin treuwidrig gewesen.
Dem ist der BGH entgegengetreten. Der Gesellschafter sei in der Ausübung seines Stimmrechts frei. Er müsse seine Stimmabgabe nicht rechtfertigen, auch wenn seine Beweggründe sachwidrig und unverständlich schienen. Die Treupflicht gebiete nur dann ein bestimmtes Abstimmungsverhalten, wenn die zu beschließende Maßnahme zur Erhaltung wesentlicher Werte, die die Gesellschafter geschaffen haben, oder zur Vermeidung erheblicher Verluste, die die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter erleiden könnten, objektiv unabweisbar erforderlich ist und den Gesellschaftern unter Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar ist. Allein dass die streitgegenständlichen Standorte für die Beklagte von nicht unerheblicher wirtschaftlicher Bedeutung waren, besage nicht, dass diese hohen Anforderungen erfüllt seien.
Anmerkung
Mit der Entscheidung hat der BGH endgültig die hohen Anforderungen, die für die Korrektur von Gesellschafterbeschlüssen in Personengesellschaften auf Grundlage der gesellschafterlichen Treuepflicht entwickelt wurden, auf die GmbH übertragen. Anerkannt war das bisher schon für solche Beschlüsse, mit denen eine Änderung der Satzung vorgenommen werden sollte. Nun hat der BGH klargestellt: Auch bei der Zustimmung zu einfachen Geschäftsführungsmaßnahmen gilt kein anderer Maßstab, auch hierbei kann der Gesellschafter grundsätzlich frei entscheiden und muss sich nicht an einem objektivierten Gesellschaftsinteresse orientieren.
Das überzeugt. Denn der Ansatz des Berufungsgerichts, ein Abstimmungsverhalten sei treuwidrig, wenn es den Gesellschaftsinteressen nicht optimal Rechnung trage, führt zu erheblichen Schwierigkeiten. Zum einen führte der Ansatz zu einer vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit der Gesellschafterbeschlüsse. Es ist aber gerade das Vorrecht der Gesellschafter, selbst zu beurteilen, wie die Interessen ihrer Gesellschaft am besten gewahrt und gefördert werden können. Die Gerichte sollen nicht in die Gesellschaft hineinregieren; sonst könnte und müsste am Ende jeder Beschluss anhand eines Sachverständigengutachtens gerichtlich bewertet werden. Zum anderen verkennt das Berufungsgericht, dass es einen erheblichen Unterschied macht, ob ein Gesellschafter „keine Einwände“ gegen eine Geschäftsführungsmaßnahme hegt oder ob er diese in Form eines Gesellschafterbeschlusses mitträgt. Denn letzteres führt regelmäßig zu einer Haftungsfreistellung der Geschäftsführer.
Mit der Entscheidung steht nun fest: Eine gerichtliche Korrektur des Stimmverhaltens eines GmbH-Gesellschafters kommt nur in Betracht, wenn dies zum Wohle der Gesellschaft objektiv unabweisbar erforderlich ist und der Gesellschafter seine Zustimmung ohne vertretbaren Grund verweigert. Praktische Bedeutung hat das vor allem in den Fällen, in denen ein Minderheitsgesellschafter von seiner Sperrminorität Gebrauch macht und so die Entwicklung der Gesellschaft blockiert. In diesen Kontext gehört letztlich auch die Entscheidung, schließlich waren sich die Gesellschafter über die Durchführung der Maßnahmen einig. Der Minderheitsgesellschafter nahm gerade diese Einigkeit zum Anlass, seine Machtposition gerichtlich auszuloten. Dem hat der BGH einen Riegel vorgeschoben. Eher beiläufig erkennt das Gericht zwar das Recht des Minderheitsgesellschafters an, eine Befassung der Gesellschafterversammlung mit einer Geschäftsführungsmaßnahme durchsetzen zu können. Im Rahmen der Abstimmung gelten dann aber wieder die gesetzlichen bzw. satzungsmäßigen Mehrheiten, die nicht regelmäßig, sondern nur im Ausnahmefall über die Treupflicht korrigiert werden können. Der Minderheitsgesellschafter wird also auch weiterhin damit leben müssen, dass er in der Gesellschafterversammlung von der Mehrheit überstimmt wird, auch wenn er deren Position für falsch oder töricht hält.
Rechtsanwälte Dr. Barbara Mayer, Jan Barth, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg
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