Psychotherapie: Anfragen auf hohem Niveau

Laut einer Umfrage der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) lagen die Anfragen für eine psychotherapeutische Behandlung im vergangenen Sommer ca. 40 % über der Zahl vor der Corona-Pandemie.

„Der Bedarf an Psychotherapie ist auch im dritten Pandemie-Jahr unverändert hoch. Die Anzahl der Patientenanfragen lag im Sommer 2022 weiterhin um etwa 40 % höher als vor Corona“, konstatiert Gebhard Hentschel, Bundesvorsitzender der DPtV. Im Durchschnitt 6,9 Anfragen pro Woche gaben die 2.270 Teilnehmer und Teilnehmerinnen einer Umfrage an, die der Verband nun veröffentlichte. „Der Anstieg, den wir schon 2021 beobachten konnten, ist praktisch unverändert. Bei den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut:innen ist die Nachfrage leicht gesunken, liegt aber immer noch um 48 % höher als vor der Pandemie“, sagt Hentschel. „Die hohe Nachfrage im letzten Jahr war leider kein vorübergehendes Phänomen, sondern scheint sich zu stabilisieren. Der Leidensdruck durch Pandemie, Krieg und Klimakatastrophen kommt bei den Menschen an.“

Deutlich mehr Nachfrage in Privat- und Kassenpraxen

Im Vergleich zum Vor-Corona-Zeitraum Januar 2020 gaben die befragten Kassenpraxen für den Juni 2022 einen Anstieg der Anfragen von 42 % an. Die Privatpraxen gaben 62 % an. „Unsere Mitglieder geben ihr Bestes. Sie beraten, welche unterstützende Maßnahme nötig ist, bieten Therapie an oder helfen bei der weiteren Therapieplatzsuche. Bereits ein Drittel der Befragten empfindet die gestiegene Nachfrage als sehr belastend“, sagt der Bundesvorsitzende.

Erhöhter Bedarf vor allem in Großstädten

In Großstädten wird ein stärkerer Anstieg beobachtet als in kleineren Städten und im ländlichen Raum. Die durchschnittliche Anzahl an Anfragen liegt in den Großstädten aktuell um 48 % höher als vor der Pandemie; in den anderen Gebieten um 35 % höher. In den Großstädten haben die Anfragen damit gegenüber Januar 2021 noch einmal um zwei Prozentpunkte zugenommen.

Rund ein Viertel erhalten einen Termin zur Sprechstunde

Von den durchschnittlich 6,9 wöchentlichen Anfragen können im Mittel 1,7 Betroffene einen Termin für eine psychotherapeutische Sprechstunde in der jeweiligen Praxis erhalten (24,6 %). 3,5 % davon erhalten diesen Sprechstunden-Termin innerhalb einer Woche, etwa 15 % innerhalb von zwei Wochen, weitere 30 % innerhalb eines Monats, 51 % warten länger als einen Monat. Die restlichen Betroffenen müssen weitere Praxen kontaktieren, um dort einen Termin zu erhalten. Eine Richtlinienpsychotherapie kann in etwa 8 % der Praxen innerhalb von einem Monat nach der Anfrage in der Praxis beginnen, in weiteren 15 % innerhalb von drei Monaten, in 30 % innerhalb von 6 Monaten. Die Problematik langer Wartezeiten nimmt diesen Ergebnissen zufolge weiter zu.

Reform in der Psychotherapie erforderlich

„Die Zahlen zeigen: Der Bedarf ist weiter groß“, sagt Hentschel. „Wir brauchen kurzfristig mehr durch die Krankenkassen genehmigte Kostenerstattungen von Psychotherapien, die durch Privatpraxen erbracht werden. Wichtig sind ebenso Sonderbedarfszulassungen von Vertragspsychotherapeut:innen und mittelfristig eine gezielte Weiterentwicklung der Bedarfsplanung, insbesondere in strukturschwachen und ländlichen Regionen.“ Unabhängig davon müsse das ambulante Versorgungsangebot für Kinder- und Jugendliche weiterentwickelt und die Verteilung neu strukturiert werden. „Hier besteht ein besonderer Bedarf“, betont Psychotherapeut Hentschel.

Forderung zur Erhaltung der Neupatientenregelung

„Die Regierung sollte das Thema psychische Gesundheit nicht vernachlässigen. Kontraproduktiv ist daher die geplante Streichung der Neupatientenregelung“, sagt der Bundesvorsitzende. „Diese hat seit 2019 finanzielle Anreize für die Aufnahme neuer Patient:innen geboten.“ Dem Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung zufolge habe man durch die Regelung zwischen 2019 und 2021 mehr als 18 % mehr Neupatienten und -patientinnen psychotherapeutisch versorgen können. „Mit Abschaffung der Neupatientenregelung droht sich die Versorgung mit ambulanter Psychotherapie wieder zu verschlechtern.“

DPtV

Schlagworte zum Thema:  Psychotherapie, Psychische Erkrankung