Entscheidungsstichwort (Thema)
Schuldnerverzug
Leitsatz (amtlich)
Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis ordentlich, so handelt ein Arbeitgeber nicht fahrlässig im Sinne von § 276 Abs. 1 Satz 2, § 285 BGB, wenn er von der Wirksamkeit der vom Arbeitnehmer erklärten Kündigung ausgeht, solange der Arbeitnehmer kein aussagekräftiges Gutachten eines neutralen Sachverständigen über seine für einen Laien nicht erkennbare, die freie Willensbestimmung im Sinne von §§ 105, 104 Nr. 2 BGB ausschließende Störung der Geistestätigkeit vorlegt.
Normenkette
BGB § 286 Abs. 1, §§ 285, 284, 276 Abs. 1, § 104 Nr. 2, § 105
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Urteil vom 17.02.1992; Aktenzeichen 4 Sa 71/91) |
ArbG Hamburg (Urteil vom 22.08.1991; Aktenzeichen 12 Ca 166/91) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 17. Februar 1992 – 4 Sa 71/91 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger ist seit 1983 bei der Beklagten als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Mit Schreiben vom 10. Oktober 1986 kündigte er das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1987. Die Beklagte bestätigte die Kündigung mit Schreiben vom 17. Oktober 1986.
Mit Anwaltsschreiben vom 13. März 1987 ließ der Kläger der Beklagten unter Beifügung einer Stellungnahme seines behandelnden Arztes mitteilen, daß er sich bei der Abgabe der Kündigungserklärung vom 10. Oktober 1986 in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand befunden habe. Die Beklagte stellte die Lohnzahlungen zum 30. Juni 1987 ein.
Der Kläger klagte beim Arbeitsgericht auf Vergütung für die Monate Juli bis November 1987 (Aktenzeichen 12 Ca 322/87). Ein weiteres Verfahren, das Lohnforderungen des Klägers für Dezember 1987 und Januar 1988 betraf (Aktenzeichen 12 Ca 507/87), wurde bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Sache 12 Ca 322/87 ausgesetzt. Nachfolgende Verfahren, die ebenfalls Gehaltsforderungen des Klägers zum Gegenstand hatten, wurden mit dem Rechtsstreit 12 Ca 507/87 verbunden und blieben auf Beschluß des Arbeitsgerichts ausgesetzt.
Im Rechtsstreit 12 Ca 322/87 wurde die Beklagte durch Urteil des Arbeitsgerichts vom 3. März 1988 verurteilt, an den Kläger die Bruttovergütung für die Monate Juli bis November 1987 zu zahlen. Gestützt auf ein Gutachten des den Kläger behandelnden Facharztes führte das Arbeitsgericht zur Begründung aus, die Eigenkündigung sei wegen Geschäftsunfähigkeit des Klägers gemäß § 105 BGB nichtig gewesen. Die Berufung der Beklagten wurde vom Landesarbeitsgericht nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens vom 20. März 1990 zurückgewiesen.
Am 16. Juli 1990 schlossen die Parteien zur Erledigung des Rechtsstreits 12 Ca 507/87 einen Vergleich. Die Beklagte verpflichtete sich, das Gehalt des Klägers von Dezember 1987 bis Juni 1990 abzurechnen und die Nettobeträge einschließlich 4 % Zinsen an den Kläger zu zahlen.
Am 18. Oktober 1990 erteilte die Beklagte eine Abrechnung über die Bruttovergütung in Höhe von 108.775,92 DM, von der sie u.a. Lohnsteuer in Höhe von 34.581,00 DM abführte. Den Nettobetrag zahlte sie an den Kläger.
Der Kläger hat geltend gemacht, entsprechend der Auskunft eines von ihm beauftragten Fachanwalts für Steuerrecht wäre bei monatlicher, zeitgerechter Gehaltszahlung lediglich eine Lohnsteuer in Höhe von 17.458,98 DM angefallen. Den Nettobetrag in Höhe von 17.122,02 DM nebst 250,80 DM Kosten für den von ihm beauftragten Fachanwalt müsse die Beklagte als Verzugsschaden erstatten.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 17.372,82 DM zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 2. Mai 1991 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, etwaige Ansprüche des Klägers aus Annahmeverzug, die nach ihrer Ansicht nie entstanden seien, seien jedenfalls erfüllt. Die Steuermehrbelastung, die der Höhe nach bestritten werde, sei nicht als Folgeschaden unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges auszugleichen. Einen etwaigen Schuldnerverzug habe sie nicht zu vertreten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen, denn dem Kläger stehen die Zahlungsansprüche in Höhe von 17.372,82 DM nebst Zinsen nicht zu.
A. Das Landesarbeitsgericht hat die Klageabweisung im wesentlichen damit begründet, daß die Beklagte die Gehaltszahlungen jedenfalls nicht schuldhaft verzögert habe. Die Beklagte habe schuldlos bis zum Erlaß des Berufungsurteils vom 6. Juni 1990 zuwarten dürfen. Es habe auch nach dem erstinstanzlichen Urteil vom 3. März 1988 deutliche Unsicherheiten gegeben, ob der Kläger bei Ausspruch seiner Eigenkündigung tatsächlich geschäftsunfähig gewesen sei.
B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ersatz einer Steuermehrbelastung aus dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzuges (§ 286 Abs. 1 i.V.m. § 284 Abs. 2 Satz 1, § 285 BGB).
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Steuermehrbelastung bei normativer Betrachtung überhaupt ein ersatzfähiger Verzugsschaden im Sinne von § 286 Abs. 1 BGB ist (vgl. Erman/Hanau, BGB, 9. Aufl., § 615 Rz 35; MünchKomm-Schaub, BGB, 2. Aufl., § 615 Rz 41), denn die Beklagte hat die verspätete Leistung nicht im Sinne von § 285 BGB zu vertreten.
1. Schuldnerverzug setzt die rechtswidrige Verzögerung der noch möglichen Leistung aus einem vom Schuldner zu vertretenden Grund voraus. Vertreten müssen heißt Verschulden im Sinne von § 276 BGB. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt.
2. Gegen diese objektive Sorgfaltspflicht hat die Beklagte nicht verstoßen, als sie die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Kläger vom 10. Oktober 1986 als wirksam erachtete und ab Juli 1987 die Vergütungszahlung einstellte. Sie konnte die Tatsachenfrage, ob der Kläger zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruches an einer Störung seiner Geistestätigkeit litt, die seine freie Willensbestimmung im Sinne von §§ 105, 104 Nr. 2 BGB ausschloß, ohne Sorgfaltsverstoß wie geschehen beantworten. Nach der Eigenkündigung des Klägers durfte die Beklagte von deren Wirksamkeit ausgehen, denn die Geschäftsfähigkeit des Erklärenden ist der vom Gesetz zugrunde gelegte Regelfall. Dementsprechend hatte der Kläger die materielle Beweislast für das Vorliegen der die Nichtigkeit seiner Willenserklärung begründenden Tatsachen. Wenn sich deren Vorliegen – wie hier – dem Erklärungsgegner nicht aufdrängt, kann dieser die Vorlage eines aussagekräftigen Gutachtens eines neutralen Sachverständigen erwarten, bevor er als sorgfältig handelnder Arbeitgeber die Nichtigkeit der Willenserklärung in einer Fahrlässigkeit begründenden Weise zu erkennen hat.
3. Diese Voraussetzungen sind vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellt worden, was revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Die ärztliche Stellungnahme vom 10. November 1986 stammte vom behandelnden Arzt des Klägers und brauchte von der Beklagten nicht als neutrales Zeugnis gewertet zu werden. Ob das vom Berufungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten vom 20. März 1990 wegen seiner auslegungsfähigen und -bedürftigen Ergebnisse als aussagekräftig angesehen werden kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn auch bei sofortiger Zahlungsaufnahme nach Kenntnis vom Inhalt dieses Gutachtens vom 20. März 1990 wäre es erst 1990 zur Vergütungsnachzahlung gekommen und damit der streitgegenständliche Nachteil des Klägers in gleicher Höhe entstanden, so daß es an der Kausalität des Verzuges für den vom Kläger beanspruchten Schaden fehlte.
II. Der Zahlungsanspruch ist auch aus keinem anderen Rechtsgrund gerechtfertigt.
C. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Unterschriften
Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Mikosch, Wittendorfer, Sperl
Fundstellen
Haufe-Index 856678 |
BAGE, 32 |
BB 1994, 1010 |
NJW 1994, 2501 |
NZA 1994, 693 |