Entscheidungsstichwort (Thema)
In-vitro-Fertilisation. Entgeltfortzahlung. Mutterschutzlohn
Leitsatz (amtlich)
1. Bezugspunkt des anspruchsausschließenden Verschuldens iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG ist das Interesse des Arbeitnehmers, seine Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen zu vermeiden.
2. Die Erfüllung eines Kinderwunsches betrifft die individuelle Lebensgestaltung des Arbeitnehmers und nicht das nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG vom Arbeitgeber, als gesetzlicher Ausgestaltung seiner Fürsorgepflicht, zeitlich begrenzt zu tragende allgemeine Krankheitsrisiko.
Orientierungssatz
1. Schuldhaft iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG handelt nur der Arbeitnehmer, der in erheblichem Maße gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen verstößt.
2. Wird durch eine In-vitro-Fertilisation willentlich und vorhersehbar eine Arbeitsunfähigkeit bedingende Erkrankung herbeigeführt, ist ein Entgeltfortzahlungsanspruch wegen Verschuldens iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG ausgeschlossen. Ein Verschulden iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG liegt nicht vor, wenn im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation, die nach allgemein anerkannten medizinischen Standards vom Arzt oder auf ärztliche Anordnung vorgenommen wird, eine zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung auftritt, mit deren Eintritt nicht gerechnet werden musste.
3. Es gibt im Entgeltfortzahlungsgesetz keine Anhaltspunkte, die eine den Regelungen in § 27a SGB V über die anteilige Kostentragung der gesetzlichen Krankenversicherung für Sachleistungen bei In-vitro-Fertilisation entsprechende Einschränkung des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung oder eine an dieser Vorschrift orientierte einschränkende Auslegung von § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG rechtfertigen könnten.
4. Als Beginn der Schwangerschaft ist bei einer In-vitro-Fertilisation die Einsetzung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter anzusehen (Embryonentransfer). Ab diesem Zeitpunkt findet Mutterschutzrecht Anwendung. Insbesondere hat die Arbeitnehmerin nach § 11 MuSchG Anspruch auf Mutterschutzlohn, wenn ein ärztliches Beschäftigungsverbot ausgesprochen wird.
Normenkette
BGB §§ 276-277, 366 Abs. 2, §§ 387-389, 394 S. 1, § 611 Abs. 1, § 812 Abs. 1 S. 1; EFZG § 3 Abs. 1 S. 1 Hs. 2, S. 2 Nrn. 1-2, § 5 Abs. 1 S. 2; MuSchG § 3 Abs. 1, § 11; SGB V §§ 27, 27a; ZPO § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 07.01.2016; Aktenzeichen 4 Sa 323/15) |
ArbG Elmshorn (Urteil vom 30.07.2015; Aktenzeichen 3 Ca 551 d/15) |
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 7. Januar 2016 – 4 Sa 323/15 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob ein entstandener Vergütungsanspruch der Klägerin durch Aufrechnung des Beklagten mit einem Rückforderungsanspruch wegen Entgeltfortzahlung erloschen ist, die er im Zusammenhang mit In-vitro-Fertilisationen an die Klägerin leistete.
Die im April 1972 geborene Klägerin ist beim Beklagten seit Januar 1994 als Erzieherin in einer Kindertagesstätte beschäftigt. Der Partner der Klägerin ist nur eingeschränkt zeugungsfähig. Um eine Schwangerschaft herbeizuführen, unterzog sich die Klägerin In-vitro-Fertilisationen. Der Beklagte hatte hiervon keine Kenntnis.
Die Klägerin legte dem Beklagten für die Zeiträume vom 26. Mai bis zum 3. Juni 2014, vom 14. Juli bis zum 1. August 2014, vom 15. bis zum 29. August 2014 und vom 21. November bis zum 8. Dezember 2014 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Der Beklagte zahlte an die Klägerin für diese Zeiten die vereinbarte Vergütung. Mit Schreiben vom 19. Februar 2015 teilte er der Klägerin mit, er gehe davon aus, die Fehlzeiten seien durch Inseminationen verursacht worden, für die er nicht zur Entgeltfortzahlung verpflichtet sei. Ihm stehe, sofern die Klägerin nicht andere Gründe für ihre Fehlzeiten nachweise, ein Rückzahlungsanspruch iHv. 5.400,27 Euro netto zu. Die Klägerin trat dem mit Schreiben vom 9. März 2015 entgegen, erteilte jedoch zunächst keine Auskunft über die Ursachen ihrer Fehlzeiten. Der Beklagte übersandte der Klägerin mit Schreiben vom 10. März 2015 Korrekturabrechnungen für die Monate Mai bis August 2014 sowie November und Dezember 2014 und wies darauf hin, eine Verrechnung mit Nachzahlungsansprüchen der Klägerin für Januar und Februar 2015 vorgenommen zu haben. Er kündigte an, den seiner Ansicht nach noch offenen Rückzahlungsanspruch von 4.647,91 Euro netto von künftigen Gehaltsansprüchen der Klägerin abzuziehen. In den Monaten März bis Juni 2015 behielt der Beklagte von der Nettovergütung der Klägerin jeweils 815,47 Euro ein.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Abzüge seien unberechtigt. Ihr habe Entgeltfortzahlung zugestanden. Vom 26. Mai bis zum 3. Juni 2014 sei sie arbeitsunfähig gewesen, weil eine Zyste habe entfernt werden müssen. Für die übrigen Zeiten hätten die behandelnden Ärzte wegen medizinischer Eingriffe im Rahmen von In-vitro-Fertilisationen bzw. zum Schutz des ungeborenen Lebens Arbeitsunfähigkeit bescheinigt.
Die Klägerin hat erstinstanzlich, soweit im Revisionsverfahren von Bedeutung, beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie rückständiges Arbeitsentgelt iHv. 3.261,88 Euro netto zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Ein Entgeltfortzahlungsanspruch der Klägerin sei nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG ausgeschlossen gewesen, weil die Klägerin die Fehlzeiten durch die von ihr willkürlich veranlassten ärztlichen Eingriffe schuldhaft herbeigeführt habe. Von Verschulden sei auch deshalb auszugehen, weil bei einer Frau nach Vollendung des 40. Lebensjahres keine hinreichende Erfolgswahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft durch In-vitro-Fertilisation bestehe. Die in § 27a SGB V zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung sei auch im Entgeltfortzahlungsrecht zu berücksichtigen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in dem für die Revision noch erheblichen Umfang von 2.301,83 Euro netto stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die vollständige Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten gegen das der Klage teilweise stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. Auf Grundlage des bisher festgestellten Sachverhalts kann der Senat nicht entscheiden, ob und ggf. in welchem Umfang die Klage begründet ist.
Ob eine Aufrechnungslage iSd. § 387 BGB bestand, weil dem unstreitig nach § 611 Abs. 1 BGB iHv. 2.301,83 Euro netto entstandenen Vergütungsanspruch der Klägerin ein seinem Gegenstand nach gleichartiger Anspruch des Beklagten gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB gegenüberstand, kann nicht abschließend beurteilt werden. Es steht bisher nicht fest, ob und ggf. in welcher Höhe der Klägerin für Fehlzeiten im Zusammenhang mit In-vitro-Fertilisationen Vergütung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG oder § 11 MuSchG zustand oder ob der Beklagte Vergütung ohne Rechtsgrund leistete und deshalb deren Rückzahlung verlangen kann. Mangels ausreichender Feststellungen kann auch nicht entschieden werden, ob und ggf. in welcher Höhe der streitgegenständliche Anspruch der Klägerin, sollte sie für die Fehlzeiten Vergütung ohne Rechtsgrund erhalten haben, durch Aufrechnungserklärung des Beklagten iSd. § 388 BGB nach § 389 BGB erloschen wäre.
Das führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Im weiteren Verfahren ist Folgendes zu beachten:
A. Als Rechtsgrund für die vom Beklagten geleisteten Zahlungen käme ein Entgeltfortzahlungsanspruch der Klägerin nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG in Betracht.
I. Ein Arbeitnehmer hat nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.
II. Die vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen lassen schon eine Beurteilung, in welchen Zeiträumen die Klägerin krankheitsbedingt arbeitsunfähig war, nicht zu.
1. Krankheit iSd. § 3 EFZG setzt einen regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustand voraus. Regelwidrig ist ein körperlicher oder geistiger Zustand dann, wenn er nach allgemeiner Erfahrung unter Berücksichtigung eines natürlichen Verlaufs des Lebensgangs nicht bei jedem anderen Menschen gleichen Alters und Geschlechts zu erwarten ist (BAG 7. Dezember 2005 – 5 AZR 228/05 – Rn. 35) . Arbeitsunfähigkeit besteht, wenn der Arbeitnehmer infolge Krankheit seine vertraglich geschuldete Tätigkeit objektiv nicht ausüben kann oder objektiv nicht ausüben sollte, weil die Heilung nach ärztlicher Prognose hierdurch verhindert oder verzögert würde (BAG 23. Januar 2008 – 5 AZR 393/07 – Rn. 19; 9. April 2014 – 10 AZR 637/13 – Rn. 21, BAGE 148, 16; Schaub/Linck ArbR-HdB 16. Aufl. § 98 Rn. 10, 11) . Von Arbeitsunfähigkeit ist auch dann auszugehen, wenn erst eine zur Behebung einer Krankheit erforderliche Heilbehandlung dazu führt, dass der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringen kann.
2. Arbeitsunfähigkeit iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist danach bisher nur für die Zeit vom 26. Mai bis zum 3. Juni 2014 festgestellt, in der die Klägerin wegen der Entfernung einer Zyste nicht in der Lage war, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.
3. Demgegenüber wird die Bewertung des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin sei vom 14. Juli bis zum 1. August 2014, vom 15. bis zum 29. August 2014 und vom 21. bis zum 26. November 2014 krankheitsbedingt arbeitsunfähig gewesen, von den tatsächlichen Feststellungen nicht getragen. Die Klägerin hat bezogen auf die genannten Zeiträume Arbeitsunfähigkeit bisher nicht schlüssig dargelegt.
a) In der Regel ist der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Ihr kommt ein hoher Beweiswert zu. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (st. Rspr., vgl. nur BAG 26. Februar 2003 – 5 AZR 112/02 – zu I 1 der Gründe, BAGE 105, 171; 25. Mai 2016 – 5 AZR 318/15 – Rn. 21) .
b) Die Klägerin hat die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bisher nicht zur Akte gereicht, dem Beklagten jedoch unstreitig vorgelegt. Unterstellt man zu ihren Gunsten, die Bescheinigungen seien ordnungsgemäß ausgestellt, ist deren Beweiswert durch den eigenen Sachvortrag der Klägerin erschüttert. Im Berufungsurteil wird zwar – entsprechend dem klägerischen Vortrag – ausgeführt, die Klägerin sei in den genannten Zeiträumen arbeitsunfähig erkrankt; die behandelnden Ärzte hätten aufgrund der durchgeführten Einzelmaßnahmen jeweils Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erteilt. Gleichzeitig werden jedoch in Tatbestand und Entscheidungsgründen als Ursache der Arbeitsunfähigkeit „medizinische Eingriffe im Rahmen von In-vitro-Fertilisationen bzw. der Schutz des ungeborenen Lebens” genannt. Aus dem Vortrag, Ursache der Arbeitsunfähigkeit sei der Schutz des ungeborenen Lebens gewesen, ergeben sich gewichtige Indizien für die Annahme, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien – jedenfalls – nicht durchgehend wegen zur Arbeitsunfähigkeit führender Erkrankungen der Klägerin erteilt worden. Der Vortrag der Klägerin ist bisher nicht schlüssig (vgl. BAG 15. Mai 2013 – 5 AZR 130/12 – Rn. 27; 24. September 2014 – 5 AZR 611/12 – Rn. 17, BAGE 149, 144) .
4. Ein Entgeltfortzahlungsanspruch für die Zeit vom 14. Juli bis zum 1. August 2014, vom 15. bis zum 29. August 2014 und vom 21. bis zum 26. November 2014 käme – unbeschadet der weiteren Anspruchsvoraussetzungen – nur in Betracht, wenn bei der Klägerin ein krankhafter Zustand bestand, der zur Arbeitsunfähigkeit führte.
a) Die Klägerin kann entgeltfortzahlungsrechtlich nicht allein aufgrund der Unfruchtbarkeit ihres Partners als „krank” angesehen werden.
aa) Empfängnis- und Zeugungsunfähigkeit sind bei erwachsenen Menschen im fortpflanzungsfähigen Alter negative physische Abweichungen vom regelgerechten Körperzustand (BVerwG 10. Oktober 2013 – 5 C 32.12 – Rn. 12, BVerwGE 148, 106; BFH 16. Dezember 2010 – VI R 43/10 – Rn. 17, BFHE 232, 179) und daher Krankheiten im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes (HK-ArbR/Spengler 3. Aufl. § 3 EFZG Rn. 19; Kunz/Wedde EFZR 2. Aufl. § 3 EFZG Rn. 41; Treber EFZG 2. Aufl. § 3 Rn. 34; Reinhard/Reinhard EFZG § 3 EFZG Rn. 37; Schmitt EFZG und AAG 7. Aufl. § 3 EFZG Rn. 52) .
bb) Hiervon ausgehend stellte zwar die Zeugungsunfähigkeit des Partners der Klägerin als regelwidriger Körperzustand eine Krankheit dar. Die Empfängnisfähigkeit der Klägerin war jedoch nicht eingeschränkt. Erst die In-vitro-Fertilisation und damit in Zusammenhang stehende Eingriffe und Maßnahmen führten bei ihr möglicherweise zu einem regelwidrigen Körperzustand und damit einer Erkrankung.
cc) Keine Krankheit ist der durch die Zeugungsunfähigkeit des Partners bedingte unerfüllte Kinderwunsch der Klägerin. Von einer Erkrankung kann nur ausgegangen werden, wenn beim Entgeltfortzahlung beanspruchenden Arbeitnehmer durch den unerfüllten Kinderwunsch körperliche oder seelische Beeinträchtigungen mit Krankheitswert hervorgerufen werden. Solche Umstände sind vorliegend weder vorgetragen noch vom Landesarbeitsgericht festgestellt.
b) Ebenso wenig stellten die im Zusammenhang mit der In-vitro-Fertilisation bei der Klägerin vorgenommenen Eingriffe und Maßnahmen eine Heilbehandlung dar, die zur Behebung einer schon vor der In-vitro-Fertilisation bestehenden Krankheit der Klägerin erforderlich gewesen wäre und möglicherweise Arbeitsunfähigkeit verursachte. Die Zeugungsunfähigkeit des Partners, die Anlass für die bei der Klägerin vorgenommenen Eingriffe und Maßnahmen war, konnte zwar nur durch eine im Rahmen der In-vitro-Fertilisation vorzunehmende Behandlung der Klägerin überbrückt werden. Eine Heilbehandlung kann jedoch nicht an die Erkrankung eines Dritten – hier des Partners der Klägerin – anknüpfen (vgl. BGH 12. November 1997 – IV ZR 58/97 – zu 2 b der Gründe; Vogelsang Entgeltfortzahlung Rn. 68, 71; Reinecke DB 1998, 130) , sondern nur an eine Erkrankung der Entgeltfortzahlung begehrenden Arbeitnehmerin selbst. Eine solche lag bei der Klägerin vor Beginn der In-vitro-Fertilisationen nicht vor.
c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung in § 27a SGB V zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertungen. Der Vorschrift kann nicht entnommen werden, der Gesetzgeber sehe in der Unfähigkeit des Partners, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen, eine Erkrankung beider Partner, dh. auch des in seiner Fertilität nicht eingeschränkten Partners. Empfängnis- und Zeugungsunfähigkeit werden, wie § 27 Abs. 1 Satz 5 SGB V bestätigt, im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich als Krankheit angesehen (vgl. BSG 8. März 1990 – 3 RK 24/89 – BSGE 66, 248) . Nach § 27 Abs. 1 Satz 5 iVm. Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verlorengegangen war. Demgegenüber regelt § 27a SGB V künstliche Befruchtung als besonderen Versicherungsfall. Die Vorschrift stellt gerade nicht auf eine Erkrankung eines oder beider Partner ab, sondern – insbesondere auch in Fällen in denen ein „kranker Versicherter” nicht gefunden werden kann, weil die medizinische Ursache der Sterilität ungeklärt ist – allein auf die Unfähigkeit des Paares, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen (BSG 25. Juni 2009 – B 3 KR 7/08 R – Rn. 13; 3. März 2009 – B 1 KR 12/08 R – Rn. 14) .
d) Die Fehlzeiten der Klägerin ab Juli 2014 wurden unstreitig erst durch In-vitro-Fertilisationen verursacht.
aa) In-vitro-Fertilisation ist eine Methode der künstlichen Befruchtung, bei der entnommene Eizellen mit präparierten Spermien befruchtet und die Embryos anschließend in den Uterus der Frau transferiert werden. Der Vorgang läuft in mehreren Schritten ab, darunter die hormonelle Stimulation der Eierstöcke mit dem Ziel, mehrere Eizellen gleichzeitig zur Reifung zu bringen, die Entnahme der Eizellen durch Follikelpunktion, die Befruchtung einer oder mehrerer Eizellen mit aufbereiteten Spermien und die Einsetzung der befruchteten Eizelle oder Eizellen in die Gebärmutter mit dem Ziel der Einnistung.
bb) Die Klägerin hat den Zeitpunkt und Verlauf der Behandlungen und einen durch sie hervorgerufenen, zur Arbeitsunfähigkeit führenden krankhaften Zustand bisher nicht dargelegt. Sie müsste bezogen auf die einzelnen Zeiträume, in denen nach ihrem Behaupten ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung bestanden haben soll, darlegen, aus welchen Gründen sie – obwohl die behandelnden Ärzte wegen „medizinischer Eingriffe im Rahmen von In-vitro-Fertilisationen bzw. zum Schutz des ungeborenen Lebens” „Arbeitsunfähigkeit” bescheinigten – krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen sein soll, die vertraglich geschuldete Tätigkeit auszuüben. Hierzu wären Zeitpunkt und Ablauf der In-vitro-Fertilisationen unter Angabe der im Einzelnen vorgenommenen Maßnahmen und Eingriffe sowie ihrer Folgen zu schildern.
III. Sollte die Klägerin schlüssig darlegen, in den Zeiträumen ab 14. Juli 2014 insgesamt oder zum Teil krankheitsbedingt arbeitsunfähig gewesen zu sein und sollte es dem Beklagten nicht gelingen, dies zu widerlegen, käme ein Entgeltfortzahlungsanspruch nur bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit in Betracht.
1. Es ist umstritten, ob durch In-vitro-Fertilisation verursachte krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit verschuldet iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist.
a) Zum Teil wird ein Verschulden generell verneint, weil die In-vitro-Fertilisation im Interesse der Arbeitnehmerin vorgenommen werde und mit verhältnismäßig geringen Risiken verbunden sei. Sie könne daher nicht gegen die Interessen eines verständigen Menschen verstoßen (Treber EFZG 2. Aufl. § 3 Rn. 34; HK-ArbR/Spengler 3. Aufl. § 3 EFZG Rn. 19; ErfK/Reinhard 16. Aufl. § 3 EFZG Rn. 10, 28) . Zudem handele es sich um ein sozialadäquates Verhalten (Reinhard/Reinhard EFZG § 3 EFZG Rn. 87) .
b) Nach anderer Ansicht soll die infolge In-vitro-Fertilisation eintretende Arbeitsunfähigkeit unverschuldet iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG sein, wenn die Voraussetzungen des § 27a SGB V erfüllt sind. Die dort vorgenommenen Wertentscheidungen seien auf das Recht der Entgeltfortzahlung zu übertragen (NK-GA/Sievers § 3 EFZG Rn. 39; Vogelsang Entgeltfortzahlung Rn. 80; Schmitt EFZG und AAG 7. Aufl. § 3 EFZG Rn. 80, 82; HWK/Schliemann 7. Aufl. § 3 EFZG Rn. 69; wohl auch Düwell NZA 2009, 759, 761; LAG Düsseldorf 13. Juni 2008 – 10 Sa 449/08 – zu II 1 b aa der Gründe; bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 27a SGB V bereits die Krankheit/Arbeitsunfähigkeit ausschließend: Worzalla/Süllwald Kommentar zur Entgeltfortzahlung 2. Aufl. § 3 EFZG Rn. 12; Feichtinger/Malkmus Entgeltfortzahlungsrecht 2. Aufl. § 3 EFZG Rn. 191) .
c) Zum Teil wird zwar ein Verschulden verneint, eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung jedoch mit der Begründung abgelehnt, die In-vitro-Fertilisation diene allein der Erfüllung höchstpersönlicher Wünsche und der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Arbeitnehmers (Müller-Roden NZA 1989, 128, 131) .
2. Ob ein anspruchsausschließendes Verschulden iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG vorliegt, hängt davon ab, ob krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit als vorhersehbare, willentlich herbeigeführte Folge einer komplikationslosen In-vitro-Fertilisation eintritt oder sich Krankheitsrisiken realisieren, die mit der künstlichen Befruchtung oder einer ggf. durch sie bewirkten Schwangerschaft einhergehen.
a) Schuldhaft iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG handelt nur der Arbeitnehmer, der in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstößt (BAG 18. März 2015 – 10 AZR 99/14 – Rn. 13, BAGE 151, 159) .
aa) Bei dem Verschulden iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG handelt es sich nicht um ein Verschulden iSv. § 276 BGB, der das Maß an Verhaltensanforderungen des Schuldners gegenüber Dritten bestimmt. Das Entstehen einer Krankheit und/oder die daraus resultierende Arbeitsunfähigkeit betrifft die Person des Arbeitnehmers selbst. Es gilt deshalb festzustellen, ob ein „Verschulden gegen sich selbst” vorliegt. Schuldhaft im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts handelt deshalb nur der Arbeitnehmer, der in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstößt. Dabei ist – anders als bei der Haftung für Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten nach § 277 BGB – von einem objektiven Maßstab auszugehen. Erforderlich ist ein grober oder gröblicher Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen und damit ein besonders leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten (BAG 18. März 2015 – 10 AZR 99/14 – Rn. 14, BAGE 151, 159) . Das Risiko der Unaufklärbarkeit der Ursachen einer Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit und eines möglichen Verschuldens des Arbeitnehmers daran liegt beim Arbeitgeber (BAG 18. März 2015 – 10 AZR 99/14 – Rn. 16, aaO) .
bb) Mit § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG soll einerseits der Arbeitnehmer bei unverschuldeter krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit finanziell abgesichert werden, andererseits sollen Kostenrisiken zwischen Arbeitgeber und Krankenversicherung verteilt werden (BAG 12. Dezember 2001 – 5 AZR 255/00 – zu B II 2 b der Gründe, BAGE 100, 130; 18. März 2015 – 10 AZR 99/14 – Rn. 15, BAGE 151, 159) . Ausgehend von dieser gesetzgeberischen Zielsetzung ist das zu wahrende Eigeninteresse allein das Interesse des Arbeitnehmers, seine Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen zu vermeiden. Ausschließlich dieses ist Bezugspunkt eines anspruchsausschließenden Verschuldens iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG.
b) Kein Eigeninteresse iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist die Erfüllung eines Kinderwunsches. Dies gilt, auch wenn Kinder zu haben und aufzuziehen, nicht nur gesellschaftlich wünschenswert ist, sondern für viele Menschen – unabhängig vom Familienstand – eine zentrale Sinngebung ihres Lebens bedeutet und ungewollte Kinderlosigkeit häufig als schwere Belastung erlebt wird (vgl. BFH 10. Mai 2007 – III R 47/05 – Rn. 21, BFHE 218, 141 zur Berücksichtigung von Aufwendungen einer unverheirateten, auf natürlichem Weg nicht empfängnisfähigen Frau für künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastung iSv. § 33 Abs. 1 EStG) . Der Kinderwunsch betrifft die individuelle Lebensgestaltung des Arbeitnehmers (vgl. BVerfG 27. Februar 2009 – 1 BvR 2982/07 – Rn. 13, BVerfGK 15, 152) und nicht das nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG vom Arbeitgeber, als gesetzlicher Ausgestaltung seiner Fürsorgepflicht, zeitlich begrenzt zu tragende allgemeine Krankheitsrisiko (vgl. zu § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG und zur Entgeltfortzahlung bei Organspenden BAG 6. August 1986 – 5 AZR 607/85 – zu I der Gründe, BAGE 52, 313) .
c) Entschließt sich die in ihrer Empfängnisfähigkeit nicht eingeschränkte Arbeitnehmerin zur Erfüllung ihres Kinderwunsches zu einer In-vitro-Fertilisation, ist für die Prüfung, ob ein anspruchsausschließendes Verschulden iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG gegeben ist, von Folgendem auszugehen:
aa) Verschuldet ist die Arbeitsunfähigkeit nicht schon, wenn die in § 27a SGB V genannten Voraussetzungen eines Anspruchs auf anteilige Kostentragung der gesetzlichen Krankenversicherung für Sachleistungen bei In-vitro-Fertilisation nicht erfüllt sind. Umgekehrt ist ein Verschulden nicht generell ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen von § 27a SGB V erfüllt sind. Es gibt im Entgeltfortzahlungsgesetz keine Anhaltspunkte, die eine § 27a SGB V entsprechende Einschränkung des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung oder eine an § 27a SGB V orientierte einschränkende Auslegung von § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG rechtfertigen könnten.
bb) Es ist vielmehr ausgehend von der Zielsetzung des Entgeltfortzahlungsgesetzes zu differenzieren.
(1) Wird erst durch In-vitro-Fertilisation willentlich und vorhersehbar eine Arbeitsunfähigkeit bedingende Erkrankung herbeigeführt, ist von einem vorsätzlichen Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen, Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen zu vermeiden, auszugehen und ein Entgeltfortzahlungsanspruch wegen Verschuldens iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG ausgeschlossen.
(2) Ein Verschulden iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG liegt nicht vor, wenn im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation, die nach allgemein anerkannten medizinischen Standards vom Arzt oder auf ärztliche Anordnung vorgenommen wird, eine zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung auftritt, mit deren Eintritt nicht gerechnet werden musste.
(3) Verwirklichen sich Krankheitsrisiken, weil die mit der In-vitro-Fertilisation einhergehenden Maßnahmen und Eingriffe – für die Arbeitnehmerin ohne weiteres erkennbar oder mit ihrem Wissen – nicht nach anerkannten medizinischen Standards vom Arzt oder auf ärztliche Anordnung vorgenommen wurden, ist von einem Verschulden iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG auszugehen.
(4) Ab dem Zeitpunkt des Embryonentransfers gelten im Hinblick auf ein Verschulden iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG die gleichen Grundsätze wie bei einer durch natürliche Empfängnis herbeigeführten Schwangerschaft.
(a) Als Beginn der Schwangerschaft ist bei einer In-vitro-Fertilisation die Einsetzung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter anzusehen, dh. der Zeitpunkt der Verbindung einer befruchteten Eizelle mit dem Organismus der Frau durch den Embryonentransfer (vgl. ausführlich zum Meinungsstand BAG 26. März 2015 – 2 AZR 237/14 – Rn. 19 ff. mwN, BAGE 151, 189) . Auch bei der natürlichen Empfängnis beginnt die Schwangerschaft mit der Konzeption, nicht erst mit der Nidation (BAG 26. März 2015 – 2 AZR 237/14 – Rn. 23, BAGE 151, 189) .
(b) Mit dem Embryonentransfer ist ein Zustand erreicht, der demjenigen einer durch natürliche Befruchtung herbeigeführten Schwangerschaft entspricht. Für die Arbeitnehmerin, die sich einer In-vitro-Fertilisation unterzogen hat, gelten im Hinblick auf die Erhaltung ihrer Gesundheit und Arbeitsfähigkeit als zu wahrendes Eigeninteresse dieselben Verhaltensobliegenheiten und Verschuldensmaßstäbe iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG wie für eine auf anderem Wege schwanger gewordene Arbeitnehmerin, in einer im Übrigen vergleichbaren Situation.
3. Hiervon ausgehend könnte erst, wenn die Klägerin Zeitpunkt und Ablauf der In-vitro-Fertilisationen unter Angabe der im Einzelnen vorgenommenen Maßnahmen und Eingriffe sowie ihrer Folgen darlegte und der Beklagte Gelegenheit hatte, hierzu Stellung zu nehmen, beurteilt werden, ob eine möglicherweise eingetretene Arbeitsunfähigkeit von der Klägerin verschuldet war.
IV. Wegen fehlender Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zu den Ursachen einer möglicherweise bestehenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit kann derzeit auch nicht entschieden werden, ob einem Entgeltfortzahlungsanspruch teilweise § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG entgegenstand.
1. Wird ein Arbeitnehmer infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, verliert er nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit den Entgeltfortzahlungsanspruch für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nur dann nicht, wenn er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (Nr. 1) oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist (Nr. 2). Vor Ablauf dieser Frist entsteht ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer von sechs Wochen daher nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruht (BAG 10. September 2014 – 10 AZR 651/12 – Rn. 25, BAGE 149, 101) .
2. Ist der Arbeitnehmer innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG länger als sechs Wochen an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert, gilt eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Zunächst muss der Arbeitnehmer – soweit sich aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dazu keine Angaben entnehmen lassen – darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung besteht. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Bestreitet der Arbeitgeber, dass eine neue Erkrankung vorliegt, hat der Arbeitnehmer Tatsachen vorzutragen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden. Dabei hat er den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. Die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung hat der Arbeitgeber zu tragen (BAG 13. Juli 2005 – 5 AZR 389/04 – zu I 6 der Gründe, BAGE 115, 206; 10. September 2014 – 10 AZR 651/12 – Rn. 27, BAGE 149, 101) .
3. Ob eine ggf. bestehende Arbeitsunfähigkeit der Klägerin jeweils durch neue Erkrankungen oder durch eine oder mehrere Fortsetzungserkrankung(en) bedingt war, steht derzeit nicht fest. Den Parteien ist deshalb unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast zunächst Gelegenheit zu weiterem Vortrag zu geben. Im erneuten Berufungsverfahren wird zu beachten sein, dass eine Fortsetzungserkrankung auch dann vorliegt, wenn sich – trotz verschiedener Krankheitssymptome – eine Erkrankung als eine Fortsetzung der früheren darstellt, weil die wiederholte Arbeitsunfähigkeit auf demselben nicht behobenen Grundleiden beruht (BAG 13. Juli 2005 – 5 AZR 389/04 – zu I 4 der Gründe, BAGE 115, 206;14. November 1984 – 5 AZR 394/82 – zu 1 der Gründe, BAGE 47, 195; 25. Mai 2016 – 5 AZR 318/15 – Rn. 11) . Es wird deshalb auch zu prüfen sein, ob eine ggf. ab 14. Juli 2014 eingetretene Arbeitsunfähigkeit der Klägerin insgesamt oder teilweise auf demselben Grundleiden beruhte wie ihre Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum vom 26. Mai bis zum 3. Juni 2014.
B. Als Rechtsgrund für die vom Beklagten geleisteten Zahlungen käme ein Anspruch der Klägerin auf Mutterschutzlohn nach § 11 iVm. § 3 Abs. 1 MuSchG in Betracht.
I. Lag in den Zeiträumen ab 14. Juli 2014 keine oder keine durchgehende Erkrankung vor oder führte eine Krankheit nicht zur Arbeitsunfähigkeit der Klägerin, wären zwar die Voraussetzungen eines Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 3 Abs. 1 EFZG nicht gegeben, es könnte aber eine Vergütungspflicht des Beklagten nach § 11 MuSchG bestanden haben, wenn die behandelnden Ärzte „Arbeitsunfähigkeit” bescheinigten, weil sie bei Fortdauer der Beschäftigung der Klägerin das ungeborene Leben als gefährdet ansahen (vgl. BAG 13. Februar 2002 – 5 AZR 753/00 – zu I 4 der Gründe mwN) .
1. In einem Arbeitsverhältnis stehenden Frauen ist nach § 11 MuSchG unter den weiteren in der Vorschrift genannten Voraussetzungen vom Arbeitgeber mindestens der Durchschnittsverdienst der letzten 13 Wochen oder der letzten drei Monate vor Beginn des Monats, in dem die Schwangerschaft eingetreten ist, ua. dann weiter zu gewähren, wenn sie wegen eines Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs. 1 MuSchG teilweise oder völlig mit der Arbeit aussetzen.
2. Ein Anspruch auf Mutterschutzlohn nach § 11 MuSchG kommt danach für Zeiträume nach dem Embryonentransfer, der bei einer In-vitro-Fertilisation als Beginn der Schwangerschaft anzusehen ist (vgl. Rn. 46) , in Betracht, soweit nach ärztlichem Zeugnis Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet ist. Für frühere Zeiträume scheidet ein Anspruch mangels Schwangerschaft aus.
II. Auf Grundlage des bisher festgestellten Sachverhalts kann der Senat nicht entscheiden, ob die Klägerin Anspruch auf Zahlung von Mutterschutzlohn nach § 11 MuSchG hatte. Es steht bisher nicht fest, ob den Fehlzeiten der Klägerin insgesamt oder zum Teil ein Embryonentransfer vorausging, ob die behandelnden Ärzte, indem sie zum Schutz des ungeborenen Lebens „Arbeitsunfähigkeit” bescheinigten, konkludent ein Beschäftigungsverbot aussprachen und ob im Übrigen die Voraussetzungen eines Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs. 1 MuSchG erfüllt waren. Nachdem die Vorinstanzen hierauf nicht hingewiesen haben, ist den Parteien im erneuten Berufungsverfahren Gelegenheit zu geben, ihren Vortrag zu ergänzen.
C. Sollte die Klägerin für die Fehlzeiten Vergütung ohne Rechtsgrund erhalten haben, ist im erneuten Berufungsverfahren zu prüfen, ob und ggf. in welcher Höhe der streitgegenständliche Anspruch der Klägerin durch Aufrechnungserklärung des Beklagten iSd. § 388 BGB nach § 389 BGB erloschen ist.
I. Eine Aufrechnung setzt voraus, dass klar ist, mit welcher Forderung gegen die Hauptforderung aufgerechnet wird. Für die Geltendmachung einer Aufrechnung mit einer Gegenforderung gilt der Bestimmtheitsgrundsatz des § 253 Abs. 2 ZPO (vgl. BAG 17. September 2013 – 3 AZR 300/11 – Rn. 102) . Nach § 322 Abs. 2 ZPO ist die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrags, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden ist, der Rechtskraft fähig. Der Umfang der Rechtskraft darf nicht unklar bleiben. Auch wenn die Klage aufgrund einer Aufrechnung abgewiesen werden soll, muss feststehen, welche der zur Aufrechnung gestellten Gegenansprüche in welcher Höhe erloschen sind (vgl. BAG 22. März 2000 – 4 AZR 120/99 – zu II der Gründe; 23. Februar 2016 – 9 AZR 226/15 – Rn. 25) .
II. Dies ist vorliegend bisher nicht der Fall.
1. Anhand der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen ist nicht erkennbar, wie sich die vom Beklagten zuletzt mit Schreiben vom 10. März 2015 geltend gemachte Gegenforderung iHv. 4.647,91 Euro netto zusammensetzt. Dem Vortrag des Beklagten kann nicht entnommen werden, für welche Zeiten er in welcher Höhe die Rückzahlung geleisteter Entgeltfortzahlung als Teil der Gesamtforderung von 4.647,91 Euro netto geltend machte. Es kann deshalb selbst unter Berücksichtigung der Tilgungsreihenfolge aus § 396 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 366 Abs. 2 BGB nicht festgestellt werden, welcher Teil des Anspruchs der Klägerin ggf. durch Aufrechnung des Beklagten erloschen ist.
2. Nachdem der Beklagte in den Vorinstanzen nicht auf die möglicherweise fehlende Bestimmtheit der Aufrechnungserklärung hingewiesen wurde, ist ihm Gelegenheit zur Ergänzung seines Vortrags zu geben. In diesem Zusammenhang wird der Beklagte auch darzulegen haben, in welcher Höhe Rückforderungsansprüche bereits durch Aufrechnungen in den Monaten Januar und Februar 2015 erloschen sind.
3. Darüber hinaus wird das Landesarbeitsgericht die vom Beklagten darzulegende Einhaltung der nach § 394 Satz 1 BGB zu beachtenden Pfändungsfreigrenzen (vgl. BAG 23. Februar 2016 – 9 AZR 226/15 – Rn. 23) zu überprüfen haben.
Unterschriften
Müller-Glöge, Weber, Volk, A. Christen, Dirk Pollert
Fundstellen
Haufe-Index 10126608 |
BAGE 2017, 102 |
BB 2017, 116 |
DB 2017, 9 |
NJW 2017, 1129 |
FamRZ 2017, 576 |
FA 2017, 84 |
NZA 2017, 12 |
NZA 2017, 240 |
ZTR 2017, 103 |
AP 2017 |
EzA-SD 2017, 11 |
EzA 2017 |
JuS 2017, 557 |
MDR 2017, 406 |
NZA-RR 2017, 403 |
NZA-RR 2017, 6 |
AUR 2017, 125 |
ArbRB 2017, 37 |
ArbR 2017, 67 |
NJW-Spezial 2017, 84 |
RdW 2017, 184 |
AP-Newsletter 2017, 16 |
FSt 2017, 600 |