Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten des Besuchs einer Förderstätte durch eine über 65 Jahre alte nicht werkstattfähige Behinderte, weil Hilfe zur Teilnahme in der Gemeinschaft in der Wohnstätte nicht ausreichend gewährleistet ist. Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. August 2003
Normenkette
BSHG §§ 39-40; SGB XII §§ 53-54; SGB IX §§ 33, 55
Verfahrensgang
VG Augsburg (Urteil vom 27.08.2003; Aktenzeichen Au 3 K 03.848) |
Nachgehend
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. August 2003 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte wird unter Abänderung seines Bescheides vom 26. Mai 2003 verpflichtet, die Kosten für den Besuch der Klägerin in der Förderstätte der Polsinger Heime in Polsingen ab 1. Juni 2003 zu übernehmen.
III. Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.
IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Übernahme von Kosten für den Besuch einer Förderstätte über das 65. Lebensjahr der Klägerin hinaus.
Die am 19. Dezember 1937 geborene Klägerin ist geistig und körperlich behindert (perinataler Hirnschaden) und lebt seit 1976 im Behindertenheim Schloss Polsingen, wo sie seit 1983 die dem Heim angegliederte Förderstätte jeweils für 20 Wochenstunden besucht.
Der Beklagte übernahm die Kosten für den Besuch der Klägerin in der Förderstätte im Rahmen der Eingliederungshilfe ab 1. Juli 1995 (Bescheid vom 21. September 1995). Nach Vorlage eines aktuellen Entwicklungsberichts am 11. Februar 2003, welcher u.a. einen weiteren Besuch der Förderstätte empfiehlt sowie der aktuellen Einstufung der Klägerin am 16. Mai 2003 in die Hilfebedarfgruppe 4, forderte der Beklagte eine Stellungnahme des sozialpädagogisch-medizinischen Dienstes an. In dessen Stellungnahme vom 16. Mai 2003 heißt es, dass angesichts der Behinderung und des Alters der Klägerin eine Kostenübernahme für den Leistungstyp „Erwachsener mit Tagesstruktur” statt Übernahme der Kosten für den Besuch der Förderstätte empfohlen werde. Daraufhin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 26. Mai 2003 die Kostenübernahme für die Förderstätte zum 31. Mai 2003 ein und gewährte stattdessen der Klägerin u.a. ab 1. Juni 2003 Eingliederungshilfe für Erwachsene im Schloss Polsingen mit tagesstrukturierendem Angebot. Zur Begründung der Einstellung der Kosten für die Förderstätte führte er an, dass die bislang gewährte Hilfeart unter den Begriff „Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben” falle. Mit Vollendung des 65. Lebensjahres und dem Eintritt ins Rentenalter könne ein derartiges Hilfeziel nicht mehr erreicht werden. Stattdessen werde durch die Zuerkennung tagesstrukturierender Maßnahmen Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft adäquat gewährt. Der Klägerin werde während des Tages Beschäftigung angeboten, die für sie weniger belastend und für den Hilfeträger kostengünstiger sei.
Die am 25. Juni 2003 gegen den belastenden Teil des Bescheides vom 26. Mai 2003 erhobene Klage der Klägerin wies das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 27. August 2003 ab.
Zur Begründung führte es aus, die Gewährung von Eingliederungshilfe stehe nicht im Ermessen des Sozialhilfeträgers, sondern sei nur durch die Notwendigkeit der Hilfe begrenzt. Eine zeitliche Grenze für die Zuerkennung von Eingliederungshilfe bestehe danach bei fortbestehender Notwendigkeit nicht. Es bestehe also von vornherein keine Altersgrenze in Höhe von 65 Jahren in Anlehnung an das Erreichen des Rentenalters. Die begehrte Hilfe sei jedoch nicht mehr notwendig, da die Ermöglichung der Teilnahme an den tagesstrukturierenden Maßnahmen im Heim eine echte Alternative zu der Übernahme der Förderstättenkosten darstelle. Die Klägerin sei bereits gut in das Gemeinschaftsleben eingegliedert und es werde ihr die weitere Teilhabe daran ermöglicht. Sie scheine keine Scheu vor neuem Kontakt zu haben.
Dass der Klägerin der soziale Kontakt außerhalb der Wohngruppe nicht durch den Besuch der tagesstrukturierenden Maßnahme im Heim ermöglicht werden kann, sei nicht ersichtlich. Auch bei einem schlechteren Personalschlüssel im Heim scheide ein individuelles Eingehen auf die Klägerin und die Hilfe bei der Kommunikation durch die betreuende Fachkraft nicht aus. Möglicherweise werde ein Eingehen nicht mehr so stark möglich und die Kommunikation mit den anderen Teilnehmern anfangs erschwert sein. Aber dafür werde die Klägerin anders (nicht notwendigerweise schlechter) gefördert werden und sich der -unter Umständen -auch nonverbale Kontakt zu gleichaltrigen Personen verstärken. Diese Annahme könne das Gericht auf Grundlage des Entwicklungsb...