Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Apotheke. Retaxierung eines Vergütungsanspruchs. Einspruchsfrist
Leitsatz (amtlich)
"Zur Frist für die Prüfung eines Einspruchs gegen eine Beanstandung im Sinne § 9 Abs 5 Arzneimittelversorgungsvertrag Bayern".
Orientierungssatz
1. Der auf § 9 Abs. 2 Satz 1 AV-Bay beruhende öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch unterliegt der Einschränkung des § 9 Abs. 5 AV-Bay, nämlich dass die Prüfung eines Einspruchs gegen eine Beanstandung innerhalb einer Frist von vier Monaten nach Zugang des Einspruchs zu erfolgen hat (Satz 1), da bei Nichteinhaltung der Frist der Einspruch gegen die Beanstandung als anerkannt gilt (Satz 3), mithin allein aufgrund des Fristablaufes nach vier Monaten ein vorbehaltloser Zahlungsanspruch entsteht, der der Berechtigung der Krankenkassen, den (mit einem Vorbehalt behafteten) Zahlungsanspruch gegen andere (unstreitige) Forderungen der Apotheke zu verrechnen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 AV-Bay), die Grundlage entzieht.
2. Bei dem Fristablauf und den daraus abgeleiteten Rechtsfolgen handelt es sich um materiell-rechtliche, rechtsvernichtende Einwendungen.
3. Die Regelung des § 9 Abs. 5 AV-Bay ist als eine Vereinbarung über eine Abrechnungsfrist und die Folgen ihrer Nichteinhaltung anzusehen. Mit dem Ablauf der Frist wird der Krankenkasse allein die Möglichkeit der Verrechnung auf der Grundlage der AV-Bay genommen, nicht jedoch - mangels Erlöschens des (potentiellen) öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches - die Befugnis, diesen im Wege der Klage oder einer (anderweitigen) Aufrechnung zu verfolgen.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15.12.2017 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.308,12 € festgesetzt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig sind Retaxierungen der Beklagten bezüglich zytostatikahaltiger Zubereitungen, die die Klägerin für März 2012 abgerechnet hat.
Die Klägerin ist Inhaberin einer herstellenden Apotheke, d.h. sie arbeitet unter validierten kontrollierten aseptischen Bedingungen nach der Apothekenbetriebsordnung (ApoBetrO). Auf Verordnung stellt sie für Onkologen parentale zytostatikahaltige Lösungen her, die an Patienten im Rahmen von Chemotherapien verabreicht werden. Zur Herstellung eines gebrauchsfertigen Zytostatikums wird das in einer Originaldurchstechflasche enthaltende Medikament (beispielhaft) zuerst durch Hinzufügen einer Kochsalzlösung in eine flüssige Form, den sogenannten Anbruch bzw. Stammlösung überführt. Zur Verabreichung des Wirkstoffes wird diese Stammlösung nachfolgend, um eine für den Patienten unter Beachtung der Verordnung individualisierte gebrauchsfertige Lösung zu erhalten, in einem anderen Behältnis weiter verdünnt. Die Herstellungskosten rechnet die Klägerin gegenüber der Beklagten ab, die die geltend gemachten Forderungen zunächst vergütet.
Mit Schreiben vom 13.03.2013 beanstandete die Beklagte unter Hinweis auf § 9 Arzneimittelversorgungsvertrag Bayern (AV-Bayern) die Abrechnung der Klägerin für März 2012 und machte geltend, dass ein Betrag von 3.402,73 € nicht abrechenbar sei, denn es seien Anbrüche als Verwurf in Rechnung gestellt worden, obwohl diese Anbrüche noch haltbar und weiter verarbeitungsfähig gewesen seien. Den Betrag iHv 3.402,73 € verrechnete die Beklagte (zunächst) mit unstreitig bestehenden Forderungen der Klägerin (unstreitige Forderungen).
Im Einspruch vom 10.04.2013 - per Fax bei der Beklagten am 10.04.2013 eingegangen - wandte sich die Klägerin gegen die Beanstandungen. Sie habe die beanstandeten parenteralen Zubereitungen unter Beachtung der ab dem 01.01.2010 geltenden Anlage 3 der Hilfstaxe berechnet. Nach Anlage 3 Teil 1 Ziffer 3.6 der Hilfstaxe sei ein Verwurf, in dem eine nicht mehr weiterverarbeitungsfähige Teilmenge zu sehen sei, abrechnungsfähig. Die Anlage 3 setze keine besonderen Anforderungen an den Nachweis voraus.
Nach der Vorlage der Therapielisten für die Zeit vom 01.03.2012 bis 31.03.2012 (Fax vom 23.07.2013) teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 12.08.2013 mit, dass ein Verwurf nur dann abrechnungsfähig sei, wenn er tatsächlich entstanden und unvermeidbar gewesen sei. Die Abrechnungsfähigkeit sei auf die bei sorgfältiger Planung unvermeidbare Substanzmenge begrenzt. Der betriebliche Ablauf sei daher so zu gestalten, dass ein Verwurf möglichst nicht anfalle. Für die Bewertung, ob es sich um abrechenbaren Verwurf handle, sei hierbei auf die tatsächliche chemisch-physikalische Stabilität der Anbrüche abzustellen, die sich aus den einschlägigen fachlichen Informationen und Erkenntnissen ergebe. Auf eine mikrobiologische Stabilität komme es nicht an, denn der fachgerechte Umgang mit den verwendeten Arzneimitten müsse ohnehin jede Möglichkeit der Verkeimung von Anbrüchen zuverlässig ausschließen. Mit dieser Entscheidung über den Einspruch teilte die Beklagte...