Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Entschädigung eines Beteiligten für Verdienstausfall. (un-)regelmäßige selbstständige Erwerbstätigkeit mit geringen Einkünften. Stundensatz. Beweismaßstab. Portokosten. richterliche Festsetzung. Fahrtkostenersatz. Zeitaufwand. Dauer der Heranziehung
Leitsatz (amtlich)
1. Um den Entschädigungsanspruch für Verdienstausfall bei einem selbständig Tätigen nicht ins Leere laufen zu lassen, darf das Gericht an die Beweisführung eines selbständig tätigen Antragstellers und seine eigene Überzeugungsbildung keine zu hohen Anforderungen stellen.
2. Kann nur von einer nicht regelmäßig ausgeübten selbständigen Tätigkeit ausgegangen werden, wird ein Anspruch auf Entschädigung wegen Verdienstausfall regelmäßig scheitern.
3. Geringe Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit allein stehen einem Verdienstausfall nicht entgegen, wenn es deutliche Hinweise darauf gibt, dass der Antragsteller in diese Tätigkeit einen nicht ganz unerheblichen Zeitaufwand investiert hat, um den angegebenen Verdienst erzielen zu können.
4. Einen Mindestsatz für die Entschädigung für Verdienstausfall hat der Gesetzgeber nicht vorgegeben; es wäre aber schwer nachvollziehbar, wenn die Entschädigung für Verdienstausfall niedriger ausfallen würde als die für Zeitversäumnis.
5. Portokosten für die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs sind nicht zu erstatten.
Orientierungssatz
Die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs 1 JVEG stellt keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Berechnung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Kostenfestsetzung durch den Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Kostenfestsetzung hinfällig wird (vgl BGH vom 5.11.1968 - RiZ (R) 4/68 = BGHZ 51, 148).
Normenkette
JVEG § 4 Abs. 1, §§ 5, 7 Abs. 1, § 19 Abs. 2, § 22; SGG § 128 Abs. 1
Tenor
Die Entschädigung des Antragstellers für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 28.11.2013 wird auf 43,75 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt eine Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) wegen der Teilnahme an einem Gerichtstermin. Insbesondere geht es um die Frage der Entschädigung für Verdienstausfall.
In dem am Bayer. Landessozialgericht (LSG) unter dem Aktenzeichen L 9 AL 251/10 geführten arbeitsversicherungsrechtlichen Berufungsverfahren fand am 28.11.2013 eine mündliche Verhandlung statt, an der der Antragsteller nach Anordnung des persönlichen Erscheinens teilnahm. Der auf 13.15 Uhr geladene Termin dauerte bis um 14.55 Uhr.
Mit bei Gericht am 16.01.2014 eingegangenem Entschädigungsantrag beantragte der Antragsteller wegen des Erscheinens bei der mündlichen Verhandlung eine Entschädigung für Verdienstausfall als Selbständiger (gewerblicher Chauffeur), für Fahrtkosten in Höhe von 22,80 € und für Porto in Höhe von 0,90 €. Den Verdienstausfall bezifferte er mit 31,55 €, da er da er keine Aufträge annehmen habe können ("Totalausfall"), was betragsmäßig dem durchschnittlichen täglichen Umsatz im November 2013 entspreche. Er gab an, in der Zeit von 11.40 Uhr bis 16.15 Uhr wegen des Gerichtstermins von zu Hause weg gewesen zu sein. Die Fahrkarte zum Gerichtstermin legte er vor.
Als Entschädigung wurde dem Antragsteller ein Betrag von 40,30 € wegen Fahrtkosten (22,80 €) und Nachteilsausgleichs (= Entschädigung für Zeitversäumnis) für 5 Stunden zu je 3,50 € ausbezahlt. Eine Entschädigung für Verdienstausfall wurde nicht gewährt, da - so die Kostenbeamtin im Telefonat mit dem Antragsteller am 21.01.2015 auf die telefonische Anfrage des Antragstellers vom 13.01.2015 hin - die Angaben des Antragstellers nicht glaubhaft seien.
Gegen die erfolgte Abrechnung hat sich der Antragsteller mit Schreiben vom 28.01.2015 gewandt und eine Kopie des Anschreibens zu seinem IHK-Beitragsbescheid 2013 vorgelegt. Daraus ergibt sich, dass der Antragsteller einer selbstständigen Berufstätigkeit als Kleingewerbetreibender (Dienstleistungen und Büroservice) nachgeht. Es sei - so der Antragsteller - ein unglaublicher und anmaßender Vorgang, ihm ohne weitere Rückfragen zu unterstellen, die Staatskasse durch falsche Angaben betrügen zu wollen.
Der Kostenrichter hat dem Antragsteller mit Schreiben vom 26.02.2015 die für die Entschädigung für Verdienstausfall bei Selbständigen geltenden Maßgaben erläutert.
Mit Schreiben vom 06.03.2015 hat der Antragsteller eine Kopie des Steuerbescheids für das Jahr 2013 vorgelegt. Daraus ergibt sich, dass der Antragsteller in diesem Jahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 2.008,- € gehabt hat. Er - so der Antragsteller - hoffe, dass sich damit die Angelegenheit erledigt habe. Den ihm bislang gewährten Entschädigungssatz von 3,50 € pro Stunde halte er für lebensfremd. Warum sollte nicht auch für einen Gerichtstermin, der für den Betroffenen keineswegs ein Spaziergang sei, der gesetzliche Mindestlohn gezahlt werden, der schließlich fast ausnahmslos für jede noch so kleine Firma ...