Leitsatz (amtlich)
1. Zur Zuständigkeit bayerischer Leistungsträger für Anspruchseinschränkungen nach § 1a AsylbLG.
2. Voraussetzung einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG ist auch, dass der Leistungsberechtigte über seine Ausreisepflicht belehrt und auf mögliche leistungsrechtliche Folgen beim Verbleib in Deutschland hingewiesen wurde.
Normenkette
AsylbLG § 1 Abs. 1 Nrn. 1, 5, § 1a Abs. 1, § 7 Sätze 1-2, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 9 Abs. 4 S. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1, § 10a Abs. 1, § 11 Abs. 4 Nr. 2, § 3 Abs. 1 S. 4 a.F., Abs. 2 S. 2 a.F., S. 3 a.F.; DVAsyl § 4 Abs. 1, § 12 Abs. 1, 2 Nr. 1, § 14 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 19; AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 31 Abs. 4, § 34 Abs. 1 S. 1, § 44; AufnG Art. 2 Abs. 1 S. 1, Art. 5, 8 Abs. 1 S. 1; BayVwVfG Art. 28 Abs. 1, Art. 36 Abs. 2 Nr. 2; GG Art. 1 Abs. 1; SGG § 73a Abs. 1 S. 1, § 86a Abs. 2 Nr. 4, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 2, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 172 Abs. 3 Nr. 1; SGB X § 44 Abs. 3, § 48 Abs. 1, 4; VwGO § 80 Abs. 5; ZPO §§ 114, 121
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 4. Februar 2022 abgeändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 17. Januar 2022 angeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Instanzen zu erstatten.
III. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt S, B, beigeordnet.
Gründe
I.
Der Antragsteller (ASt) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Der ASt, nach eigenen Angaben 1985 geboren und afghanischer Staatsangehöriger, reiste über Italien und die Schweiz am 18.09.2021 nach Deutschland ein und beantragte Asyl; seine Ehefrau und sein Sohn leben seinen Angaben zufolge im Iran. Er ist seit Ende September 2021 in einer Aufnahmeeinrichtung im Gebiet des Antragsgegners (Ag) untergebracht. Dort beantragte er die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG. Der Ag bewilligte daraufhin zunächst Grundleistungen i.H.v. monatlich 121,50 EUR für die Zeit vom 27.09.2021 bis 31.12.2021 (Bescheid vom 01.10.2021).
Mit Bescheid vom 01.12.2021 bewilligte der Ag dem ASt, solange sich die Verhältnisse nicht änderten, monatsweise und nicht als Dauerleistung für die Zeit vom 01.01.2022 bis 31.12.2022 Grundleistungen i.H.v. monatlich 122 EUR. Ernährung, Unterkunft, Heizung, Wohnungsinstandhaltung, Haushaltsenergie, Kleidung, Körperpflegeartikel, Hygieneartikel, WLAN, Babyerstausstattung, Kinderwagen und Schulbeihilfe Grundschule würden in der Ankereinrichtung als Sachleistungen gewährt. Die Bewilligung der Leistungen erfolge bis auf Weiteres.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte mit Bescheid vom 23.12.2021 den Asylantrag des ASt als unzulässig ab, stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote bestünden, und ordnete die Abschiebung des ASt nach Italien an. Beim Eurodac-Abgleich hätten sich Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union, nämlich Italien, ergeben. Auf ein Übernahmeersuchen hätten die italienischen Behörden nicht in der vorgegebenen Frist geantwortet. Daher sei der Asylantrag unzulässig. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote lägen nicht vor.
Bei der Anhörung vor dem BAMF hatte der ASt angegeben, er habe von Italien schneller ein Angebot zur Ausreise erhalten. Das sei seine letzte Möglichkeit gewesen, nach Europa auszureisen. Sein Ziel sei aber gewesen, nach Deutschland zu kommen. Einen Asylantrag habe er deswegen in Italien nicht gestellt. Bei einer Abschiebung nach Italien befürchte er, dass sein Asylverfahren sehr lange dauern werde. In dieser Zeit bestehe Gefahr für seine Familie, die er aus Afghanistan herausbringen wolle.
Den gegen den Bescheid des BAMF gerichteten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz lehnte das Bayer. Verwaltungsgericht Würzburg (VG) mit Beschluss vom 18.01.2022 (W 1 S 21.50382) ab. Nach den Erkenntnissen aus der Eurodac-Datenbank habe der ASt in Italien erstmalig einen Asylantrag gestellt, so dass dieses Land zuständig sei. Hinreichende Gründe für die Annahme der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bei der Rückkehr des ASt nach Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens seien nicht feststellbar. Auf der Basis einer Gesamtwürdigung gehe das Gericht nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht davon aus, dass das Asylverfahren in Italien relevanten Mängeln unterliege. Das gelte insbesondere mit Blick auf die Unterbringungsmöglichkeiten. Auch hätten Asylantragsteller wenige Wochen nach Registrierung freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Auch die Annahme des BAMF, dass keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote vorlägen, sei nicht zu beanstanden. Weiter sei kein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis vorgetragen oder sonst ersichtlich. ...