Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren: Erstattung von notwendigen Auslagen für einen Verfahrensbeteiligten. Fahrkostenersatz beim Nutzung eines eigenen Pkw. Umfang des Kostenersatzes bei behauptetem Umweg. Zuerkennung einer Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung bei Bezug einer Erwerbsminderungsrente
Leitsatz (amtlich)
1. Ist die vom Antragsteller gemachte Streckenangabe nicht nur geringfügig höher als die Entfernung, wie sie sich bei Zuhilfenahme der Routenplaner im Internet ergibt, und ist ein behaupteter Umweg nicht als objektiv erforderlich nachgewiesen, ist dem Fahrtkostenersatz grundsätzlich die dem Routenplaner zu entnehmende Streckenlänge zur schnellsten Route ohne einen Toleranzaufschlag zugrunde zu legen.
2. Bloße Behauptungen ins Blaue hinein erzeugen keinen weiteren Ermittlungsbedarf.
3. Eine Verzinsung ist dem JVEG fremd.
Orientierungssatz
Der Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung durch eine Prozesspartei schließt die Zuerkennung einer Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung für die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung aus. Allerdings ist in diesem Fall die Zuerkennung einer Entschädigung für Zeitversäumnis möglich.
Tenor
Die Entschädigung wegen des Erscheinens des Herrn A. beim Gerichtstermin am 30.10.2014 wird auf 218,50 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt aus abgetretenem Recht eine Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) wegen der Teilnahme des Herrn A. an einem Gerichtstermin.
In dem am Bayer. Landessozialgericht (LSG) unter dem Aktenzeichen L 1 RS 1/12 geführten Berufungsverfahren des Herrn A. (im Folgenden: Zedent) fand am 30.10.2014 eine mündliche Verhandlung statt, an der der Zedent teilnahm. Das persönliche Erscheinen des Zedenten wurde nachträglich angeordnet.
Mit einem auf den 19.10.2014 datierten und beim LSG am 31.10.2014 eingegangenen Schreiben beantragte der Zedent in Vertretung seiner Mutter und jetzigen Antragstellerin eine Entschädigung für sein Erscheinen beim Gerichtstermin am 30.10.2014 in Höhe von insgesamt 512,92 € (Fahrtkosten: 2 * 448,2 km zu je 0,30 € = 268,92 €; Zehrgeld: 24,- €; Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung für 11 Stunden zu je 20,- € = 220,- €) zuzüglich Zinsen. Dem Entschädigungsantrag beigelegt war ein ebenfalls auf den 19.10.2014 datierter Vertrag, mit dem der Zedent seinen Entschädigungsanspruch an die Antragstellerin abgetreten hatte.
Die Kostenbeamtin des LSG gewährte mit Schreiben vom 01.04.2015 als Entschädigung einen Betrag von 226,50 € (Fahrtkosten: insgesamt 718 km zu je 0,25 € = 179,50 €; Aufwand/Zehrgeld: 12,- €; Entschädigung für Zeitversäumnis ("Nachteilsausgleich") für 10 Stunden zu je 3,50 € = 35,- €) und zahlte diesen an die Antragstellerin aus.
Die aus seiner Sicht unzureichende Entschädigung für den 30.10.2014 beanstandete der Zedent im eigenen Namen mit Schreiben vom 01.04.2016 und beantragte, die Entschädigung auf insgesamt 574,92 € zuzüglich Zinsen festzusetzen. Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Senats vom 17.06.2016, Az.: L 15 RF 20/16, abgelehnt, da der Zedent infolge der Abtretung an die Antragstellerin keinen Anspruch mehr auf Entschädigung wegen des Gerichtstermins am 30.10.2014 habe.
Gegen diesen Beschluss hat sich der Zedent mit Schreiben vom 11.07.2016 mittels einer Gegenvorstellung (Az.: L 15 RF 24/16) und einer Anhörungsrüge (Az.: L 15 RF 25/16) gewandt und gleichzeitig im Namen und mit Unterschrift auch der Antragstellerin begehrt, die Entschädigung für den Gerichtstermin am 30.10.2014 in der beantragten Höhe festzusetzen. Für die angefallenen Kosten hat sich der Zedent als Zeuge angeboten.
Auf gerichtliche Nachfrage vom 21.07.2016 u.a. danach, ob der Zedent zum Zeitpunkt des Gerichtstermins "Erwerbsersatzeinkommen, z.B. ... Rente wegen Erwerbsminderung, bezogen" habe - in diesem Zusammenhang hat der Senat die Antragstellerin auch darüber aufgeklärt, dass der Bezug von Erwerbsersatzeinkommen einer Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung entgegen stehe -, und entsprechende Erinnerung hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 08.11.2016 Folgendes mitgeteilt:
"Der Kläger war am 30.10.2014 nicht erwerbstätig und hatte auch kein Erwerbsersatzeinkommen. Hab ihn extra nochmal gefragt."
Der Zedent lebe - so die Antragstellerin - derzeit von ihrer elterlichen Unterstützung. Die angegebene Fahrtstrecke von 2 * 448,2 km entspreche der tatsächlich gefahrenen Strecke. Schon am 11.07.2013 (im Verfahren L 15 SF 86/13 B) habe - so die Antragstellerin weiter - der Zedent die gegenüber der Auskunft aus Routenplanern längere Strecke wie folgt erklärt:
"Grund ist, dass es sich dabei um die über viele Jahre gewohnte Strecke handelt. Aus gesundheitlichen Gründen (panische Platzangst, weshalb ich weder Lifte noch Tunnels benutze; bin zu 100 % schwer behindert) war mir keine Streckenführung mit langen Tunneln möglich."
Am 22.08.2013 habe er dies (im Verfahren L 15 SF 86/13 B) noch näher mit den auf der kürzeren Strecke bef...