Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung des Asylantrags als unzulässig wegen Zuständigkeit eines anderen Staats für das Asylverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Auch für die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG ist im Wege der normerhaltenden teologischen Reduktion zu fordern, dass dem Leistungsberechtigten ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist.
2. Die Vorwerfbarkeit des Unterlassens der freiwilligen Ausreise setzt voraus, dass der Leistungsberechtigte Kenntnis von seiner Verpflichtung zur freiwilligen Ausreise hat.
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 18. November 2021 abgeändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26. Oktober 2021 angeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat neun Zehntel der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
III. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt B, B Straße, B beigeordnet.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit ab 03.11.2021, insbesondere wendet er sich gegen eine Anspruchseinschränkung.
Der 1985 geborene Antragsteller, nach seinen Angaben somalischer Staatsangehöriger, reiste im Juli 2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Seit 04.08.2021 ist er in einer Aufnahmeeinrichtung im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners untergebracht. Dieser gewährte ihm auf seinen Antrag hin mit Bescheid vom 12.08.2021 für die Zeit ab 04.08.2021 bis auf weiteres Grundleistungen nach dem AsylbLG entsprechend der Bedarfsstufe 2 in Form von Sachleistungen sowie Geldleistungen in Höhe von monatlich 121,50 €. Gegen diese Bewilligung ist der Antragsteller nicht vorgegangen.
Der Asylantrag des Antragstellers wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 06.10.2021 als unzulässig abgelehnt, weil Schweden aufgrund des dort gestellten Asylantrags für die Behandlung des Asylgesuchs zuständig sei. Die Abschiebung nach Schweden wurde angeordnet. Dies teilte die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken (ZAB) dem Antragsgegner am 11.10.2021 mit.
Nach vorheriger Anhörung stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 26.10.2021 fest, dass der Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG ab dem 01.11.2021 bis 30.04.2022 nach § 1a Abs. 7 AsylbLG eingeschränkt ist und hob den Bescheid vom 12.08.2021 ab 01.11.2021 auf. Der Leistungsantrag nach § 3 AsylbLG wurde ab 01.11.2021 bis 30.04.2022 abgelehnt. Dem Antragsteller wurden für die Zeit vom 01.11.2021 bis 30.04.2022 Sachleistungen nach § 1a Abs. 7 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 AsylbLG bewilligt. Der Bedarf an Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege werde in der Ankereinrichtung sichergestellt. Mit der Entscheidung des BAMF vom 06.10.2021 hinsichtlich der Unzulässigkeit des Asylverfahrens in Deutschland seien die Voraussetzungen des § 1a Abs. 7 AsylbLG hinsichtlich einer Anspruchseinschränkung erfüllt. Der Bescheid entfalte Bindungswirkung hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift.
Dagegen legte der Antragsteller am 03.11.2021 Widerspruch ein, den er im Wesentlichen damit begründete, dass eine Anspruchseinschränkung aus verfassungsrechtlichen Gründen nur zulässig sei, wenn ihm ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sei. Er habe sich aber weder pflichtwidrig in die Bundesrepublik Deutschland begeben noch verweile er hier pflichtwidrig. Ein pflichtwidriges Verhalten scheide bereits deshalb aus, weil ihm nicht mitgeteilt worden sein, dass er in der Bundesrepublik Deutschland kein Asyl beantragen dürfe. Jedenfalls sei eine Belehrung über die Rechtsfolge, dass er während des Verfahrens in Deutschland nur eingeschränkte Sozialleistungen erhalte, nicht erfolgt.
Ebenfalls am 03.11.2021 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Würzburg (SG) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26.10.2021 anzuordnen und den Antragsgegner zu verpflichten, ihm ab 03.11.2021 vorläufig Grundleistungen entsprechend der Bedarfsstufe 1 zu gewähren. Die Regelung über die Anspruchseinschränkung sei evident verfassungswidrig, da sie das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletze. Die den Anspruch begründende Menschenwürde stehe allen zu und gehe selbst durch ein vermeintlich "unwürdiges" Verhalten nicht verloren. Der verfassungsrechtlich garantierte Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstrecke sich sowohl auf die Sicherung der physischen Existenz als auch die Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Es widerspräche dem nicht relativierbaren Gebot der Unantastbarkeit, wenn nur ein Minimum unterhalb dessen gesichert würde, was...