nicht rechtskräftig
Verfahrensgang
SG Landshut (Entscheidung vom 30.08.2001; Aktenzeichen S 9 VG 9/98) |
Tenor
Dem Gesuch der Klägerin, die Richterin am Bayer. Landessozialgericht Dr.B. wegen des Vorliegens eines gesetzlichen Ausschließungsgrundes bzw. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird stattgegeben.
Gründe
I.
Die Richterin am Bayer. Landessozialgericht (RiBayLSG) Dr.H.B. ist entsprechend dem Geschäftsverteilungsplan A (Rechtsprechung) des Bayer. Landessozialgerichts dem 15. Senat als Mitglied zugeteilt. Nach der Geschäftsverteilung im 15. Senat (Anordnung vom 25.01./07.12.2001; Ziffer II.2.d) ist sie sie u.a. für Streitsachen nach dem OEG (Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten) und damit für die anhängige Berufung der Klägerin mit obigem Aktenzeichen zuständig.
Vor ihrer Ernennung zur Richterin am Bayer. Landessozialgericht war Dr.B. als Abteilungsdirektorin beim Bayerischen Landesamt für Versorgung und Familienförderung (Landesversorgungsamt) tätig. In dieser Funktion hat sie Schreiben des Landesversorgungsamtes vom 18.09.1997 und 29.01.1999 an das Bayer. Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit unterzeichnet, in denen - veranlasst durch Eingaben der Klägerin - u.a. zum Stand des OEG-Verwaltungsverfahrens und der im Vordergrund stehenden Beweisprobleme dieses Verfahrens Stellung genommen wurde. Auch veranlasste Dr.B. , dass das zuständige Versorgungsamt die bereits an den Psychiater Prof.Dr.N. zum Zwecke der Erstellung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens über die Klägerin versandten Akten zurückforderte, um anstelle dieses Sachverständigen eine Nervenärztin mit der Befragung der Klägerin nebst anschließender gutachtlicher Beurteilung ihrer Glaubwürdigkeit zu beauftragen. Das Versorgungsamt verzichtete dann jedoch auf die Einholung dieses Gutachtens.
Die Ansprüche der Klägerin nach dem OEG wurden vom Beklagten durch Bescheid/Widerspruchsbescheid vom 11.12.1997/07.08.1998 sowie - nach Durchführung weiterer Ermittlungen - erneut durch einen während des bereits vor dem Sozialgericht Landshut anhängigen Klageverfahrens ergangenen Bescheid vom 09.02.2000 abgelehnt. Die dagegen erhobene Klage wies das Sozialgericht Landshut mit Gerichtsbescheid vom 30.08.2001 ab. Nach Einlegung der Berufung gegen die Entscheidung des Sozialgerichts Landshut hat der Ehemann der Klägerin am 27.11.2001 telefonisch gebeten zu überprüfen, "ob der Rechtsstreit nicht von einem anderen Richter als Frau Dr.B. zu bearbeiten sei; diese habe doch bereits im Verwaltungsverfahren den Anspruch seiner Ehefrau mehrmals abgelehnt". RiBayLSG Dr.B. hat sich zu diesem Antrag am gleichen Tag dienstlich geäußert.
II.
Für die Entscheidung über Gesuche, mit welchen Richter der Sozialgerichtsbarkeit abgelehnt werden, ist das Landessozialgericht zuständig (§ 60 Abs.1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Ist ein Richter des Landessozialgerichts abgelehnt, entscheidet der Senat, dem er angehört, unter Mitwirkung des Vertreters.
Das zulässige Ablehnungsgesuch erweist sich als begründet.
§ 60 Abs.1 Satz 1 SGG bestimmt, dass für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen §§ 41 bis 44, 45 Abs.2 Satz 2, 47 bis 49 Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend gelten. Nach § 60 Abs.1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 42 ZPO kann ein Richter sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist - über die Bestimmung des § 41 Nr.6 ZPO hinaus - von der Ausübung des Amtes als Richter auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat.
Mitwirkung am Verwaltungsverfahren beinhaltet - insofern deutlich weiter als beim Ausschließungsgrund nach § 41 Nr.6 ZPO - nicht nur die Beteiligung am Erlass des Verwaltungsaktes, über den das Gericht zu entscheiden hat, sondern jedes Tätigwerden auf Seiten der Verwaltung in der Sache, das über eine bloß formale Beteiligung hinausgeht. Insofern genügt z.B. eine Teilnahme an den Ermittlungen oder der Beurteilung des Sachverhalts ebenso wie eine beratende Tätigkeit; gleiches gilt für die Mitwirkung an Maßnahmen der Aufsichtsbehörde, durch die Art und Inhalt des angefochtenen Verwaltungsaktes beeinflusst worden sind (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz mit Erläuterungen, 6. Auflage, Rdnr.5 zu § 60 mit weiteren Nachweisen).
Der Senat hält den Ausschließungsgrund des § 60 Abs.2 SGG für gegeben. Selbst wenn man die Bearbeitung einer während des laufenden Verwaltungsverfahrens erfolgten Eingabe - aus formalen Erwägungen - als ein von diesem getrenntes Verwaltungshandeln auffassen und damit nicht als Mitwirkung am Verwaltungsverfahren im Sinn von § 60 Abs.2 SGG qualifizieren wollte, so stellt jedenfalls die Einflussnahme auf die konkreten Ermittlungen (Stornierung eines Gutachtensauftrages und Bestimmung des zu beauftragenden Sachverständigen) eine die Voraussetzungen des § 60 Abs.2 SGG erfüllende aufsichtlich...