Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren: Einstweiliges Rechtsschutzverfahren gegen die Ablehnung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Streitgegenstand bei Entscheidung über einen Folgeantrag
Leitsatz (amtlich)
Der Streitgegenstand des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes wird durch das entsprechende Hauptsacheverfahren bestimmt. Ist nach einer Leistungsablehnung ein Folgeantrag gestellt und über diesen entschieden worden, ist der Folgezeitraum nicht Gegenstand eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gegen die erste Leistungsablehnung.
Die Frage, ob ein nach über einjähriger selbständiger Tätigkeit und unfreiwilliger Aufgabe bzw Unterbrechung der Tätigkeit infolge von Arbeitsunfähigkeit wegen diversen Erkrankungen nach § 2 Abs 3 Satz 1 FreizügG/EU fortgeltendes Aufenthaltsrecht zeitlich beschränkt ist, ist offen und im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend zu klären.
Tenor
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.02.2018 wird aufgehoben, soweit der Antragsgegner zur vorläufigen Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts über Juni 2018 hinaus verpflichtet worden ist.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
III. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwalt B., A-Stadt, beigeordnet.
Gründe
I.
Streitig sind im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der Antragsteller (ASt) ist kroatischer Staatsangehöriger und nach eigenen Angaben im März 2014 zur Arbeitssuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Am 01.06.2015 beantragte er beim Antragsgegner (Ag) Alg II. Es sei ab 22.04.2014 als selbständiger Fliesenleger tätig gewesen, könne aber die Tätigkeit wegen einer unfallbedingten Knieverletzung aktuell nicht ausüben. Hierzu legte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, wonach er seit 26.05.2015 arbeitsunfähig sei. Das Gewerbe wurde zum 30.06.2015 abgemeldet. Im Weiteren erlitt der ASt eine Schulterverletzung und einen Herzinfarkt, zudem leidet er unter einer seelischen Störung und Wirbelsäulenproblemen. Das Zentrum Bayern Familie und Soziales stellte unter dem 12.03.2018 einen GdB von 40 ab dem 09.10.2017 fest.
Der Ag bewilligte Alg II ab Juni 2015 bis zuletzt November 2017 (Bescheid vom 26.10.2016 idF des Änderungsbescheides vom 26.11.2016). Einen Weiterbewilligungsantrag vom 17.10.2017 lehnte der Ag mit Bescheid vom 15.11.2017 ab. Die Selbständigkeit sei zum 30.06.2015 aufgegeben worden und der für einen Leistungsanspruch notwendige Arbeitnehmerstatus wirke nur für zwei Jahre nach Beginn der unverschuldeten Arbeitslosigkeit nach. Dagegen legte der ASt Widerspruch ein. Nach einem Vermerk des Ag dazu vom 08.12.2017 habe der ASt die selbständige Tätigkeit nach mehr als einem Jahr unfreiwillig aufgegeben. Laut Arbeitsvermittlung liege Erwerbsfähigkeit vor. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.2018 zurückgewiesen. Über die dagegen beim Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobene Klage (S 13 AS 71/18) ist bislang nicht entschieden. Mit Bescheid vom 17.04.2018 bewilligte der Ag nach § 41a Abs 1 SGB II vorläufig Alg II für die Zeit vom 12.01.2018 bis 30.06.2018. Unter Umsetzung des (streitgegenständlichen) Beschlusses des SG vom 28.02.2018 werde Alg II vorläufig, längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache gewährt. Auf einen vom ASt im Juni 2018 gestellten Weiterbewilligungsantrag bewilligte der Ag vorläufig Leistungen für die Monate Juli 2018 bis Dezember 2018 iHv 609 € monatlich. Gründe für den Vorläufigkeitsvorbehalt sind nicht angegeben.
Bereits am 12.01.2018 hat der ASt beim SG einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Nach Abmeldung seines Gewerbes sei er kontinuierlich arbeitsunfähig gewesen. Es bestehe keine zeitliche Einschränkung des privilegierten Freizügigkeitsrechts beim unfreiwilligen Verlust einer Beschäftigung oder Aufgabe einer selbständigen Tätigkeit. Dies sehe auch weder die Weisung der Bundesagentur für Arbeit zu § 7 SGB II noch eine aktuelle Entscheidung des EuGH vom 20.12.2017 vor. Es liege eine nur vorübergehende Erwerbsminderung vor, da es keine negative Prognose gebe. Zumindest die Wiederherstellung einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit sei anzunehmen. Mit Beschluss vom 20.02.2018 hat das SG die Stadt A-Stadt beigeladen. In der mündlichen Verhandlung am 28.02.2018, an der auch zwei ehrenamtliche Richter teilgenommen haben, hat das SG - mangels entsprechendem Vermerk in der Niederschrift offenbar ohne Beratung und ausweislich der schriftlichen Fassung des Beschlusses ohne ehrenamtliche Richter - den Ag verpflichtet, vorläufig ab 12.01.2018 längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache Alg II zu gewähren. Ein Leistungsausschluss liege beim ASt nicht vor. Mangels ausdrücklicher ...