Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung: Anspruchseinschränkung wegen Weigerung der Mitwirkung an der Beschaffung von Passdokumenten. Verfassungsmäßigkeit. Existenzminimum. Verhältnismäßigkeit. Restriktive Auslegung. Aufforderung zur Mitwirkung. Anhörung. Aufschiebende Wirkung. Verwaltungsakt mit Dauerwirkung
Leitsatz (amtlich)
1. § 1a AsylbLG ist nicht verfassungswidrig.
2. § 1a AsylbLG sanktioniert vermeidbares persönliches Fehlverhalten eines Leistungsberechtigten, der die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen durch in seinen Verantwortungsbereich fallendes vorwerfbares Verhalten verhindert.
3. Das Grundrecht auf die Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebieten eine restriktive Auslegung des § 1 a AsylbLG.
4. Zu den Voraussetzungen für eine erneute Leistungskürzung: Der Antragsgegner hat ein erneutes Verfahren zur Prüfung der Voraussetzungen des § 1 a Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 AsylbLG durchzuführen. Dazu bedarf es einer erneuten Aufforderung und konkreten Bezeichnung der Mitwirkungshandlung unter angemessener Fristsetzung.
Normenkette
AsylbLG § 1a Abs. 2-3, §§ 2-3, 11 Abs. 4 Nr. 2, § 14 Abs. 2; SGG § 86a Abs. 1, 2 Nr. 4, § 86b Abs. 2 S. 2; GG Art. 1, 20
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers hin wird der Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 1. September 2016, S 5 AY 61/16 ER, aufgehoben und die Antragsgegnerin wird vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller in der Zeit vom 06.07.2016 bis 31.12.2016 einen weitern Geldbetrag in Höhe von 90 € zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt S., A-Stadt, beigeordnet.
Gründe
I.
Der Antragsteller (es verbleibt bei der Bezeichnung der Beteiligten aus dem erstinstanzlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes) begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, ihm vorläufig in der Zeit vom 06.07.2016 bis 31.12.2016 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ohne Anspruchseinschränkung (und damit in Höhe von 339,61 € monatlich) zu gewähren.
Der 1975 geborene Antragsteller ist nach eigenen, nicht nachgewiesenen Angaben, Staatsangehöriger des Königreichs Bhutan und am 02.07.1995 ohne Ausweispapiere in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Am 11.07.1995 beantragte er die Anerkennung als Asylberechtigter. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 03.08.1995 mangels Glaubwürdigkeit der Angaben abgelehnt. Der gerichtliche Rechtsschutz hiergegen war erfolglos (Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg ≪VG≫ vom 23.05.1996, RN 14 K 95.31999, Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes ≪VGH≫ vom 25.11.1996, 21 AA 9632849). Die Entscheidung ist seit dem 04.12.1996 rechtskräftig. Der Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 07.02.1997, bestandskräftig seit 27.03.1997, abgelehnt. Die Rechtsschutzbegehren des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, auf Erteilung eines Reisepasses und die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis scheiterten (Urteil des VG vom 18.12.2013, RN 9 K 12.948 u.a.; Beschluss des VGH vom 10.04.2014, 19 ZB 14.142).
Seit dem 13.10.2012 ist der Antragsteller ausreisepflichtig, weil er fortgesetzt falsche Angaben zu seiner Identität macht und den Zustand der Passlosigkeit durch fehlende Mitwirkung bewahrt. Ihm werden fortlaufend aufgrund fehlender Passdokumente Duldungsbescheinigungen ausgestellt. Der Antragsteller lebt in einer Gemeinschaftsunterkunft.
Der Antragsteller hat bislang keinerlei Passdokumente vorgelegt und macht geltend, dass er nicht für das Fehlen eines Passes verantwortlich sei, da es in der BRD keine konsularische Vertretung des Königreiches Bhutan gebe.
Seit März 2006 erhielt der Antragsteller nur die unabweisbar gebotenen Leistungen gemäß § 1a AsylbLG. Nach dem teilweisen Obsiegen in einem Verfahren über die Leistungshöhe für das Jahr 2012 vor dem Sozialgericht Landshut (SG) bezog er sodann seit Januar 2013 Leistungen nach dem AsylbLG in ungekürzter Höhe.
Mit Bescheid vom 12.03.2015 wurden dem Antragsteller ab dem 01.03.2015 Grundleistungen gemäß § 3 AsylbLG idF des G vom 10.12.2014 in Höhe von insgesamt 325,61 € monatlich gewährt (Nahrungsmittel, Gesundheitspflege, Bekleidung, Geldbetrag zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse). Es erfolgte der Hinweis, dass nach Ablauf des Bewilligungsabschnittes die bewilligte Hilfe uneingeschränkt, ohne Antrag, weitergezahlt werde, solange die gesetzlichen Voraussetzungen hinsichtlich der persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnisse vorlägen.
Am 07.07.2015 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur Anspruchseinschränkung nach § 1 a AsylbLG an, weil er nicht an der Beschaffung von Passdokumenten mitwirke und deshalb aufenthaltsbee...