Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. notwendiger Lebensunterhalt in Einrichtungen. Justizvollzugsanstalt. keine Einrichtung iS der §§ 35, 75 SGB 12. Untersuchungshäftling. Anspruch auf Taschengeld

 

Orientierungssatz

1. Eine Justizvollzugsanstalt ist keine Einrichtung iS von § 35 Abs 1 SGB 12, so dass § 35 Abs 2 SGB 12 nicht anwendbar ist. Haftanstalten gehören keinesfalls zu den Einrichtungen iS der §§ 75ff SGB 12. Auch zu den stationären Einrichtungen gehört eine Justizvollzugs- oder eine Untersuchungshaftanstalt nicht (vgl BVerwG vom 12.10.1993 - 5 C 38/92 = FEVS 44, 225 und OVG Lüneburg vom 13.5.1992 - 4 L 149/90 = FEVS 43, 241 für das BSHG).

2. Für den sozialhilferechtlichen Bedarf des täglichen Lebens, der nicht durch Sachleistungen der Justizverwaltung gedeckt ist (insbesondere für die Teilhabe am kulturellen Leben), ist die Höhe der Festsetzung eines Barbetrages auf 35 Euro monatlich nicht zu beanstanden.

 

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 4. Juni 2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Frage der vorläufigen Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Form eines monatlichen Barbetrages streitig.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer, der sich im Zeitraum vom 16.09 2007 bis 02.11.2007 und seit 28.12.2007 in Untersuchungshaft befindet, beantragte am 01.08.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs -Grundsicherung für Arbeitssuchende- (SGB II). Im sich daran anschließenden Verfahren vor dem Sozialgericht München (SG) verpflichtete dieses mit Beschluss vom 13.09.2007 die Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung B-Stadt GmbH, dem Antragsteller vorläufig ab 03.08.2007 bis 31.10.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren (Az: S 48 AS 1542/07 ER). Die hiergegen erhobene Beschwerde vom 07.12.2007 wurde durch das Bayerische Landessozialgericht (LSG) mit Beschluss vom 27.02.2008 (Az: L 16 B 1138/07 AS ER) zurückgewiesen. Mit Schriftsatz vom 08.03.2008 beantragte er beim LSG die Durchführung eines Nachverfahrens (Az: L 16 B 236/08 AS ERC). Im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens beantragte er unter anderem Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zur Begründung führte er insbesondere aus, dass für Untersuchungsgefangene Zusatzeinkäufe in Höhe von 178,80 € pro Monat möglich seien. In zahlreichen Schriftsätzen führte er aus, welchen Bedarf er im Einzelnen habe. Das LSG legte den Antrag auf Durchführung eines Nachverfahrens als Antrag nach § 178a Abs. 1 und 2 SGG aus, wies diese mit Beschluss vom 11.04.2008 zurück und lehnte einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, für Vollzugsinsassen seien wegen § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II die Träger der Sozialhilfe nach dem SGB XII zuständig. Dieser Beschluss wurde der ARGE B-Stadt GmbH am 23.04.2008 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.

Am 09.05.2008 beantragte der Antragsteller beim SG vorläufigen Rechtsschutz wegen Hilfe zum Lebensunterhalt, da ein monatlicher Bedarf in Höhe von etwa 200 € bestehe. In diesem führte die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin aus, sie habe den vom LSG an die ARGE B-Stadt GmbH übersandten Beschluss (Az: 16 B 236/08 AS ERC) nicht übermittelt bekommen. Sie habe daher den Antrag des Antragstellers auf einstweiligen Rechtsschutz vom 09.05.2008 als Antrag auf Leistungen aus der Sozialhilfe ausgelegt. Diesen lehnte sie mit Bescheid vom 19.05.2008 ab, da die Voraussetzungen für die Gewährung eines Barbetrages während der Untersuchungshaft - Aufnahme einer Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder durch den Haftrichter untersagt - vom Antragsteller nicht erfüllt würden. Er sei daher in der Lage, seinen notwendigen Bedarf in der Justizvollzugsanstalt selbst zu decken.

Mit Beschluss vom 04.06.2008 verpflichtete das SG die Antragsgegnerin vorläufig ab 09.05.2008 für die Dauer der Untersuchungshaft, längstens bis zur Bestandskraft der Entscheidung der Antragsgegnerin über den Taschengeldantrag des Antragstellers Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII in Form eines monatlichen Taschengeldes in Höhe von 35 € zu gewähren. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt. Zusammenfassend bejahte das SG die Glaubhaftmachung eines ungedeckten Bedarfs nach § 19 Abs. 1 SGB XII im Sinne eines Anordnungsanspruchs. Insbesondere könne der Antragsteller nach der aktuellen Sachlage nicht auf die Möglichkeit verwiesen werden, seinen in der Untersuchungshaft ungedeckten Bedarf durch die Aufnahme einer Arbeit zu verdienen, da diese Möglichkeit nach Auskunft des Sozialdienstes der Justizvollzugsanstalt nicht bestehe. Der ungedeckte Bedarf war im Wege einer Schätzung auf 10% des Regelsatzes festgesetzt worden. Ein Anordnungsgrund bestehe; eine Verweisung auf die Entschei...

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