Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Vorbeugender Rechtsschutz gegen künftige Sanktionen
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Eingliederungsverwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 S. 6 SGB II ist sofort vollziehbar nach § 39 Nr. 1 SGB II. Einstweiliger Rechtsschutz gegen Pflichten aus dem Eingliederungsverwaltungsakt ist durch Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG zu suchen.
2. Der Eingliederungsverwaltungsakt enthält keine Sanktionen nach §§ 31 ff SGB II. Sofern der Betroffene Pflichten aus dem Eingliederungsverwaltungsakt auf Eis legen will, um künftige Sanktionen zu verhindern, begehrt er vorbeugenden Rechtsschutz.
3. Für vorbeugenden Rechtsschutz ist ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse erforderlich, das insbesondere beinhaltet, dass der Betroffene nicht auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Gegen Sanktionen ist regelmäßig nachträglicher Rechtsschutz möglich und ausreichend. Einstweiliger Rechtsschutz hat grundsätzlich nicht die Aufgabe, Rechtsfragen zu beantworten, die mit einer gegenwärtigen Notlage nichts zu tun haben.
Tenor
I. Auf die Beschwerde werden Ziffer I. und II. des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 15. Mai 2014 aufgehoben und der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
III. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin C. B. beigeordnet. Ratenzahlungen sind nicht zu erbringen.
Gründe
I.
Streitig ist im Eilverfahren, ob die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 S. 6 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) anzuordnen ist.
Die 1967 geborene Antragstellerin ist seit 2006 als Floristin selbstständig erwerbstätig und alleinerziehende Mutter ihres im Jahr 2010 geborenen Sohnes. Beide wohnen zusammen mit den Eltern der Antragstellerin in einem Haus und beziehen seit Ende 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II. Dabei wurde nur ein Teil des Bedarfs durch anrechenbares Einkommen aus selbständiger Tätigkeit abgedeckt. Gegen die vorläufige Bewilligung vom 22.04.2014 wurde Widerspruch eingelegt, weil wegen einer Mutter-Kind-Kur ab Juni 2014 nur mehr ein monatliches Einkommen aus selbständiger Tätigkeit von 150,- Euro angesetzt werden könne.
Am 24.03.2014 unterzeichneten die Beteiligten eine Eingliederungsvereinbarung, die von der Antragstellerin mit Schreiben vom 26.03.2014 widerrufen wurde. Daraufhin erließ der Antragsgegner den mit der Vereinbarung inhaltsgleichen strittigen Eingliederungsverwaltungsakt vom 09.04.2014 (Seite 791 der Verwaltungsakte).
Als Ziele wurden darin festgelegt: "Beibehaltung der derzeitigen selbständigen Beschäftigung bis zum 18.04.2014. Verringerung/Beendigung der SGB II-Leistungen. Sollte sich bis zum 18.04.2014 keine Tragfähigkeit ergeben, so stellen Sie sich der allgemeinen Arbeitsvermittlung vollumfänglich zur Verfügung." Unterstützung durch das Jobcenter: "Er nimmt ihr Bewerberprofil in www.arbeitsagentur.de. auf. Beratung bei Bedarf." Bemühungen der Antragstellerin: "Beibehaltung der derzeitigen Beschäftigung als Floristin (selbstständige Tätigkeit). Wahrnehmung der Termine. Pünktliches Erscheinen zu den Terminen beim Jobcenter. Anzeige von Veränderungen. Die Antragstellerin legt bis spätestens 18.04.2014 eine Gewinn- und Verlustrechnung für das vorherige Jahr 2013 vor, sowie eine Vorschau für 2014." Diese Festlegungen würden für die Zeit vom 09.04.2014 bis 08.10.2014 gelten.
Gegen diesen Bescheid erhob die Bevollmächtigte der Antragstellerin am 15.04.2014 Widerspruch. In der Vergangenheit sei nach Berechnungen des Antragsgegners erhebliches Einkommen aus selbständiger Tätigkeit angefallen. Für die Zeit von Oktober 2010 bis März 2011 geht der Antragsgegner von einem durchschnittlichen monatlichen Gewinn von 1214,20 € aus (Bescheid vom 03.02.2014). Unabhängig davon könne die Antragstellerin bis 18.04.2014 die angeforderten Berechnungen nicht vorlegen. Über den Widerspruch wurde bislang nicht entschieden.
Mit Schreiben vom 17.04.2014 wurde der Antragstellerin ein Vermittlungsvorschlag für eine Tätigkeit als angestellte Floristin in Vollzeit unterbreitet.
Am 02.05.2014 stellte die Antragstellerin beim Sozialgericht München einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 09.04.2014.
Mit Beschluss vom 15.05.2014 ordnete das Sozialgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs an (Ziffer I des Beschlusses). Zugleich wurde der Antragsgegner verpflichtet, die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen (Ziffer II. des Beschlusses). Der Widerspruch habe gemäß § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Trotz Ablaufs der Frist zur Vorlage von Unterlagen bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis, weil sich die Antragstellerin fortlaufend der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stellen habe. Der Antrag sei begründet, weil ...