Entscheidungsstichwort (Thema)
Kosten des Widerspruchsverfahrens. Rentenberechnung. Vorläufiger Verwaltungsakt. Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat die Beklagte im Rentenbescheid nicht darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des für die Rentenberechnung maßgeblichen § 54 Abs. 3 S. 2 SGB VI in der ab 01.01.1997 gültigen Fassung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist und die Entscheidung nicht vorläufig gestellt, hat sie Anlass zur Klageerhebung gegeben und damit die Kosten für das Widerspruchsverfahren zu übernehmen, obwohl der Widerspruch erfolglos war.
2. Hat die Beklagte nur in Bezug auf den ursprünglichen Bescheid Anlass zur Einlegung des Widerspruchs gegeben, nicht aber für die Klageerhebung, weil das im Hinblick auf das beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren ruhende Widerspruchsverfahren von der Klägerin vor dessen Entscheidung wieder angerufen worden ist, entspricht eine hälftige Erstattung der außergerichtlichen Kosten billigem Ermessen.
Normenkette
SGG § 193 Abs. 1 S. 3; SGB VI § 54 Abs. 3 S. 2; SGB I § 14
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 19.11.2007 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten des Widerspruchverfahrens zur Hälfte zu erstatten.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zur Hälfte.
Gründe
I.
Mit Bescheid vom 24.10.2000 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab 01.08.2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wobei sie der Berechnung § 54 Abs 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab 01.01.1997 gültigen Fassung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes (WFG) zugrunde legte. Dagegen legte die Klägerin am 02.11.2000 Widerspruch ein, beantragte jedoch das Ruhen dieses Verfahrens. Zur Begründung gab sie an, dass der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) mit Beschluss vom 16.12.1999 (Az: B 4 RA 11/99 R) dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage zur Entscheidung vorgelegt habe, ob die mit dem WFG getroffenen Regelungen verfassungsgemäß seien. Am 30.06.2004 wünschte die Klägerin die Fortsetzung des Widerspruchsverfahrens. Mit einem weiteren Ruhen bestehe kein Einverständnis mehr. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.07.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Da der Anspruch der Klägerin erst nach dem 01.01.1997 entstanden sei, habe man bei der Berechnung der Rente § 54 Abs 3 Satz 2 SGB VI beachtet. Diese Vorschrift sei geltendes Recht. Angesichts der Vorlage des BSG an das BVerfG und des einverständlichen Ruhens sei die nun gewünschte Erteilung eines Widerspruchsbescheides unnötig und im Übrigen aussichtslos gewesen. Ein etwaiges Klageverfahren würde nur unnötige Kosten verursachen.
Dagegen erhob die Klägerin am 06.08.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg. Sie beantragte, die Rente nach der günstigeren Berücksichtigung der Berufsausbildungszeiten vor Inkrafttreten des WFG zu berechnen. Gleichzeitig beantragte sie das Ruhen des Klageverfahrens bis zur Entscheidung des BVerfG. Nach Zustimmung der Beklagten ordnete das SG mit Beschluss vom 01.02.2005 das Ruhen des Klageverfahrens an.
Am 11.09.2007 beantragte die Beklagte die Wiederaufnahme des Klageverfahrens. Das BVerfG habe über die strittige Rechtsfrage am 27.02.2007 entschieden und halte die Minderung der rentenrechtlichen Bewertung der ersten Berufsjahre durch das WFG für verfassungsgemäß (1 BvL 10/00). Die Beteiligten erklärten am 07.11.2007/14.11.2007 die Hauptsache für erledigt.
Am 14.11.2007 hat die Klägerin eine Kostenentscheidung nach § 193 Abs 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragt. Die begehrte Kostenfestsetzung betreffe nur das Widerspruchsverfahren. Sollte sich das SG nicht für zuständig halten, sei der Schriftsatz an die Beklagte als Antrag auf Kostenerstattung nach § 63 SGB X weiterzuleiten.
Mit Beschluss vom 19.11.2007 hat das SG entschieden, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten seien. Im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG vom 27.02.2007 wäre das Hauptsacheverfahren erfolglos geblieben. Eine vom Erfolgsprinzip abweichende Beurteilung der Kostenfrage sei vorliegend nicht angezeigt.
Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin beim SG Beschwerde eingelegt. Das SG half der Beschwerde nicht ab und legte diese dem Bayer. Landessozialgericht zur Entscheidung vor.
Zur Begründung der Beschwerde hat die Klägerin vorgetragen, ihr Antrag, gemäß § 193 Abs 1 SGG die Kosten für das Widerspruchsverfahren festzusetzen, sei entgegen der Ansicht des SG begründet. Der Rentenbescheid sei trotz der Vorlage des BSG an das BVerfG nicht vorläufig ergangen. Damit habe die Beklagte gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses und gegen die Beratungspflicht verstoßen. Nach der Rechtsprechung dürfe ein Rentenbescheid erst ergehen, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt sei. Die Ko...