Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht „freier Mitarbeiter”. Kostenentscheidung im Falle nachträglicher Feststellung der Sozialversicherungspflicht mit Beitragsnacherhebung und Säumniszuschlägen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine unselbständige und damit sozialversicherungspflichtige Arbeit liegt vor, wenn der Betroffene weder eigene Betriebsräume und -mittel noch Einfluss auf die Arbeitszeit und Preisgestaltung besitzt.

2. Wird die Klage des Arbeitgebers gegen die Feststellung der Beitragspflicht seiner zum Verfahren beigeladenen Beschäftigten abgewiesen, so haben die Beigeladenen keinen Anspruch auf Erstattung von Verfahrenskosten, wenn sie sich ebenfalls gegen die Feststellung der Beitragspflicht gewandt haben.

 

Normenkette

SGB IV § 7 Abs. 1-2, § 8 Abs. 1 Nr. 1, § 24 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2, § 28d Sätze 1-2, § 28e Abs. 1 S. 1, § 28p Abs. 1 Sätze 1, 5; SGB III § 348 Abs. 1 S. 1; SGB V § 6 Abs. 6 S. 1, § 253; SGB VI § 174 Abs. 1; SGB XI § 60 Abs. 1 S. 2; SGG § 183 S. 1, § 193 Abs. 1 S. 1, § 197a Abs. 1 S. 1; VwGO § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3; GKG § 52 Abs. 1, 3

 

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 1. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2011 wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

III. Der Streitwert wird auf EUR 74.181,01 festgesetzt.

 

Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen nach einer Betriebsprüfung gemäß § 28p Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV).

Die Klägerin betreibt in A-Stadt eine Praxis für Krankengymnastik, Massagen und sonstige Behandlungen mit derzeit 21 Beschäftigten. Der Inhaber und Geschäftsführer der Klägerin, Herr , ist von Beruf Physiotherapeut.

Die Klägerin setzte die Beigeladene zu 1) vom 01.01.2006 bis zum 30.09.2007 und den Beigeladenen zu 2) vom 01.01.2006 bis zum 31.12.2009 als "freie Mitarbeiter" zur Erbringung von Massage- und Physiotherapieleistungen ein. Die Klägerin stellte den Beigeladenen zu 1) und zu 2) die Räumlichkeiten einschließlich Liegen und Massagematerialien zur Verfügung. Die Terminsvereinbarung der Beigeladenen zu 1) und zu 2) erfolgte über die Anmeldung der Praxis der Klägerin. Von dort erhielten sie an den Tagen, an denen sie tätig waren, Terminlisten, die durchgehend mit Patiententerminen belegt waren. Auch die Abrechnung mit den Patienten lief über die Klägerin. Eine direkte Abrechnung der Beigeladenen zu 1) und zu 2) gegenüber den Patienten erfolgte nicht, auch bestand keine eigene Kassenzulassung zur Abrechnung im Sinne des Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Am Monatsende erstellte die Klägerin eine sogenannte "Mitarbeiterabrechnung", anhand derer der Beigeladenen zu 1) und zu 2) ihre Rechnungen an die Klägerin zu schreiben hatten. Dabei wurde die Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung aufgeführt, wovon der Beigeladene zu 1) und zu 2) jeweils 70 % als Bezahlung abgegolten erhielten. Einfluss auf die Preisgestaltung hatten der Beigeladene zu 1) und zu 2) nicht.

Die Beigeladene zu 3) war vom 01.04.2006 bis zum 31.12.2009 als Anmeldedame für die Klägerin tätig. Sie übte die gleichen Tätigkeiten aus wie abhängig Beschäftigte an der Anmeldung, insbesondere Telefondienst und Terminvergabe für die Physiotherapeuten. Eigene Betriebsmittel brachte die Beigeladene zu 3) nicht ein. Bezahlt wurde sie stundenweise. Rechnungen schrieb auch die Beigeladene zu 3) auf der Basis der von der Klägerin erstellten "Mitarbeiterabrechnungen".

Nach erfolgter Anhörung forderte die Beklagte von der Klägerin mit Bescheid vom 01.06.2010 Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Umlagen einschließlich Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 74.181,01 EUR nach. Die Prüfung des Betriebes der Klägerin habe für den Prüfzeitraum vom 01.01.2006 bis zum 31.12.2009 ergeben, dass die Klägerin die Beigeladenen zu Unrecht als selbständig Tätige geführt und keine Beiträge zur Sozialversicherung entrichtet habe, obwohl die Beigeladenen tatsächlich beitragspflichtige abhängige Beschäftigte gewesen seien. Die Beigeladene zu 1) unterliege im Zeitraum vom 01.01.2006 bis zum 30.09.2007 der Versicherungspflicht in allen Bereichen der Sozialversicherung. Der Beigeladene zu 2) bleibe in der Kranken- und Pflegeversicherung versicherungsfrei, unterliege aber im Zeitraum vom 01.01.2006 bis zum 31.12.2009 der Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung. Hinsichtlich der Beigeladenen zu 3) fielen keine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung an, da sie auf Grund einer anderweitigen selbständigen Tätigkeit privat krankenversichert sei. Im Zeitraum vom 01.04.2006 bis zum 31.12.2007 bestehe Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung; es finde die Regelung zur Gleitzone Anwendung. Für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis zum 31.12.2009 seien auf Grund des geringeren Verdienstes Pauschalbeiträge zur Rentenversicherung und Umlagebeiträge zu erheben. Die Klägerin sei zum...

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