Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen Erwerbsminderung. Anspruchsvoraussetzungen. extreme Schwerhörigkeit. Analphabetismus
Orientierungssatz
1. Zur Beweiswürdigung hinsichtlich des Vorliegens von voller bzw teilweiser Erwerbsminderung bei extremer Schwerhörigkeit und Analphabetismus.
2. Zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. September 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1966 im ehemaligen Jugoslawien geborene Klägerin hat keine Schule besucht und keinen Beruf erlernt. Sie ist Analphabetin. Sie war von Juni 1988 bis zu einem im März 1991 erlittenen Arbeitsunfall als Hilfsarbeiterin und von September 1992 bis Mai 2003 als Reinigungskraft (20 Wochenstunden) versicherungspflichtig beschäftigt. Die Klägerin bezieht aufgrund des Arbeitsunfalls im Jahr 1991, bei dem sie eine Fraktur der rechten Kniescheibe erlitten hatte, eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 %. Für die Klägerin ist von der Versorgungsverwaltung ein Grad der Behinderung - GdB - von 50 anerkannt u.a. für Schwerhörigkeit (Einzel-GdB 40), Funktionsstörungen am rechten Knie (Einzel-GdB 20) und an der Wirbelsäule, Fibromyalgie (Einzel-GdB 20).
Nachdem von der ARGE für Beschäftigung A-Stadt GmbH mit Bescheid vom 8. September 2005 die Bewilligung von Arbeitslosengeld II ab 1. Oktober 2005 mit der Begründung aufgehoben wurde, ausweislich des Gutachtens vom 22. August 2005 des Internisten und Lungenfacharztes Dr. H. sei die Klägerin auf Dauer nicht mehr in der Lage, mindestens drei Stunden täglich Arbeiten zu verrichten, begehrte die Klägerin mit Antrag vom 8. September 2005 die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten. Zur Begründung verwies sie auf Gesundheitsstörungen am ganzen Körper.
Der von der Beklagten zunächst beauftragte Orthopäde Dr. M. stellte in seinem Gutachten vom 7. November 2005 bei der Klägerin Syndrome an der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, eine Gonalgie rechts, Knick-Senk-Spreizfüße, eine Adipositas (BMI 32) sowie eine somatoforme Schmerzstörung fest. Es bestünden Verdeutlichungsbemühungen. Verständigungsschwierigkeiten bei dem in normaler Lautstärke geführten Untersuchungsgespräch seien nicht aufgetreten. Die Klägerin sei noch vollschichtig leistungsfähig für leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie als Reinigungskraft.
In einem allgemeinärztlichen Gutachten von Dr. L. vom 21. November 2005 sind folgende Diagnosen aufgeführt:
1. diffuse wechselnde Gelenkschmerzen
2. chronische Bronchitis bei fortgesetztem Nikotinkonsum
3. Cervikocephalgien bei leichtem degenerativem Halswirbelsäulensyndrom
4. Gonalgie rechts
5. Verdacht auf analgetikainduzierten Kopfschmerz
6. Schwerhörigkeit
7. Drang- und Belastungsinkontinenz
8. Metabolisches Syndrom mit Adipositas, arterieller Hypertonie und Fettstoffwechselstörung.
In dem Gutachten wird darauf verwiesen, mit der extrem schwerhörigen Versicherten sei eine Kommunikation nur mit sehr lauter Sprache und Lippenablesen durch die Versicherte möglich. Eine Hörgeräteversorgung erfolge aufgrund von Ängsten vor dem HNO-Arzt nicht. Eine bewusste Aggravation liege nicht vor, sondern eher eine einfältige Konstitution und Angst vor Ärzten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestünde noch ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr für leichte Arbeiten. Als Reinigungskraft sei die Klägerin nur noch 3 bis unter 6 Stunden täglich einsetzbar. Die Durchführung einer Maßnahme der stationären Rehabilitation wurde angeregt.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit angefochtenem Bescheid vom 29. November 2005 den Rentenantrag ab. Zur Begründung des hiergegen erhobenen Widerspruchs wurde auf die Gesundheitsstörungen an der Wirbelsäule und an den unteren Extremitäten sowie auf die Feststellungen von Dr. H. verwiesen. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2006 zurückgewiesen.
Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht München (SG), ohne diese näher zu begründen. Das SG zog Befundberichte des HNO-Arztes Dr. B., des Orthopäden Dr. L. und der Allgemeinmedizinerin Dr. K. bei. Es erhob gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Beweis durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens von Dr. B. und eines Hals-Nasen-Ohren-ärztlichen Gutachtens von Dr. K..
Dr. B. diagnostizierte bei der Klägerin in seinem Gutachten vom 27. September 2006 eine undifferenzierte Somatisierungsstörung, eine Neurasthenie sowie eine Schwerhörigkeit beidseits. Die Klägerin könne noch leichte Arbeiten möglichst wechselweise im Gehen, Stehen und Sitzen in geschlossenen Räumen und bei Ausschluss von Kälte und Nässe auch im Freien vollschichtig mit den üblichen Unterbrechungen eines normalen Arbeitstages ausüben. Das Heben un...