Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. Heil- und Behandlungsplan für eine zahnärztliche Behandlung. private Krankenversicherung. unterbliebener Wechsel in den Basistarif. Beratungspflicht des Grundsicherungsträgers
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Heil- und Behandlungsplan für eine zahnärztliche Behandlung stellt lediglich einen prognostischen Bedarf dar, der im Rahmen des SGB II nicht vorab zu einer Leistungszusage führen kann.
2. Wurde eine private Krankenversicherung trotz entsprechender Beratung durch das Jobcenter nicht umgestellt, ist eine Übernahme nicht gedeckter Kosten nicht veranlasst.
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 19. Januar 2023 sowie der Bescheid des Beklagten vom 9.10.2020 idG des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2020 abgeändert und der Beklagte verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum August 2020 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II iHv 1 109,30 Euro zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu einem Zehntel.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte und Berufungsbeklagte (Beklagter) nach dem SGB II verpflichtet ist, von der Krankenversicherung der Klägerin und Berufungsklägerin (Klägerin) im Zeitraum von Juli 2020 bis Juni 2021 nicht erstattete Kosten für Zahnarztbehandlungen sowie weitere entsprechende Kosten aus diversen Kostenvoranschlägen zu übernehmen.
Die 1964 geborene Klägerin lebte im streitigen Zeitraum allein unter der im Rubrum angegebenen Adresse zu monatlichen Kosten iHv 685 Euro.
Die Klägerin unterhielt einen Krankenversicherungsvertrag (Tarif KVG3), der die gesetzlichen Anforderungen zur Versicherungspflicht erfüllt, zu einem privaten Versicherungsunternehmen zu monatlichen Kosten iHv 254,35 Euro (2020) bzw 252,14 Euro (2021). Für eine private Pflegeversicherung schuldete sie 67,28 Euro monatlich.
Die vermögenslose Klägerin bezog im streitigen Zeitraum aus einer geringfügigen Beschäftigung Einkommen iHv 449,90 Euro am 24.7., 27.8. und 30.9.2020.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin für die Zeit vom 1.7.2020 bis 30.6.2021 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung der tatsächlich geschuldeten laufenden Kosten für Unterkunft und Heizung (Bescheid vom 27.3.2020). Darüber hinaus gewährte der Beklagte einen unmittelbar an das private Krankenversicherungsunternehmen ausgezahlten Zuschuss zum Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung iHv 321,63 Euro monatlich. Einkommen wurde auf den Bedarf der Klägerin (im Juli und August 2020) nicht angerechnet.
Nachdem die Krankenversicherung am 2.7.2020 für vier von der Klägerin eingereichte Heil- und Kostenpläne wegen Zahnbehandlung und Zahnersatz vom 30.6.2020 über insgesamt 14 916,05 Euro eine Zusage über voraussichtliche Leistungen lediglich iHv 4 580,27 Euro erteilt hatte, bat die Klägerin am 13.7.2020 den Beklagten, den Differenzbetrag zu übernehmen. Sie sei zurzeit in einer Zahnbehandlung, die medizinisch sehr notwendig sei, da sie nicht mehr richtig aufbeißen könne. Sie habe Schmerzen. Die Krankenversicherung übernehme lediglich einen kleinen Betrag.
Darüber hinaus legte die Klägerin Zahnarztrechnungen sowie die zugehörige Abrechnung der Krankenversicherung vor, wonach von der Rechnung vom 24.7.2020 über einen Betrag iHv 761,32 Euro von der Versicherung 594,24 Euro (Abrechnungen vom 24.8. und vom 29.10.2020) und von der Rechnung vom 31.7.2020 über 3 629,51 Euro von der Versicherung 2 020,25 Euro (Abrechnung vom 24.8.2020) erstattet worden seien. Schließlich legte die Klägerin zwei weitere Abrechnungen der Krankenversicherung vor, wonach von einer Zahnarztrechnung über 145,78 Euro bzw 160,97 Euro 106,45 Euro bzw 123,17 Euro (Abrechnung vom 27.7.2020) erstattet würden.
Der Beklagte lehnte die Übernahme der zusätzlichen Gebühren für die Zahnbehandlung ab. Kosten, die für eine medizinisch notwendige Behandlung entstünden, seien von der Krankenversicherung zu begleichen. Hierbei spiele es keine Rolle, ob die Klägerin privat oder gesetzlich krankenversichert sei. Zudem seien im Regelsatz 4,3 % für die Gesundheitspflege gedacht. Für zusätzlich entstehende Kosten könne die Klägerin monatliche Rücklagen bilden. Zusätzliche Gebühren könnten daher vom Beklagten nicht übernommen werden (Bescheid vom 9.10.2020). Auch ein Darlehen zur Tilgung von Zahnersatz- und Zahnbehandlungskosten in Höhe von 1 812,85 Euro (von der Krankenversicherung nicht erstattete Kosten aus den Zahnarztrechnungen vom 31.7.2020 sowie vom 24.7.2020) könne nicht gewährt werden. Die entsprechenden Zahlungsaufforderungen müssten vorrangig der Krankenkasse vorgelegt werden, damit diese die Übernahmehöhe errechne und ggf bewillige. Sollte die Krankenkasse die vollständigen Kosten nicht übernehmen, könne die Klägerin dort einen sog Härtefallantrag stellen. Da die ...