Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Nachholung der nachArt. 28 BayVwVfG erforderlichen Anhörung.
2. Die Versäumung einer zu kurzen Anhörungsfrist führt nicht zur Präklusion von Vorbringen. Auch das nach Fristablauf eingegangene, aber noch im Widerspruchsverfahren erfolgte Vorbringen ist zu berücksichtigen.
3. Um dem Ausländer die leistungsrechtlichen Konsequenzen bewusst zu machen, muss die Leistungsbehörde ihm grundsätzlich aufzeigen, welches weitere Verhalten oder Unterlassen konkret von ihm gefordert wird, damit er die Anspruchseinschränkung abwenden kann (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung des Senats). Der Senat lässt offen, ob dies auch im Falle einer vollständigen Verweigerung der Mitwirkung gilt.
4. Kein Anspruch auf Analogleistungen bei fortdauernder Verweigerung der erforderlichen Mitwirkungshandlungen um den Aufenthalt in Deutschland zu verlängern. Dies stellt ein von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten dar.
5. Es widerspricht dem allgemeinen Gedanken von Treu und Glauben, einerseits im Rahmen des Verwaltungsverfahrens fortdauernd nicht mitzuwirken und sich andererseits danach darauf zu berufen, dass die Behörde im Bescheid bzw. im Rahmen der Anhörung keine konkreten Mitwirkungshandlungen vorgegeben hat.
6. Der Senat sieht keine Verfassungswidrigkeit der Regelung des§ 1a Abs. 3 AsylbLG .
7. Es bestehen auch keine europarechtlichen Bedenken.
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 26. Januar 2024 abgeändert sowie die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Februar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2022 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. März 2022 bis 31. Juli 2022 Grundleistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.
II. Im Übrigen werden die Berufungen gegen die Urteile des Sozialgerichts Würzburg vom 26. Januar 2024 zurückgewiesen.
III. Die Beklagte trägt 2/5 der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger und Berufungskläger wendet sich zuletzt noch gegen eine Leistungsabsenkung nach § 1a Abs. 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bzw. höhere Leistungen nach dem AsylbLG in den Zeiträumen vom 01.03.2022 bis 31.07.2022 und 01.09.2022 bis 28.02.2023.
Der nach eigenen Angaben 1982 geborene Kläger und Berufungskläger ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er reiste spätestens am 19.01.2018 nach Deutschland ein. Am 26.02.2018 stellte er einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom 02.05.2018 als unzulässig ablehnte. Die Abschiebung nach Italien wurde gleichzeitig angeordnet, weil Italien gemäß der Verordnung Nummer 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) aufgrund der dort erfolgten illegalen Einreise für die Bearbeitung des Asylgesuchs zuständig sei. Eine für den 19.12.2018 angesetzte Luftabschiebung scheiterte aufgrund von Widerstandshandlungen des Klägers am Flughafen Frankfurt am Main. Nach Ablauf der Überstellfrist lehnte das BAMF den Asylantrag des Klägers im nationalen Verfahren mit Bescheid vom 09.01.2020 als unbegründet ab und drohte die Abschiebung nach Nigeria an. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Würzburg rechtskräftig mit Urteil vom 10.08.2020 ab. Die Aufenthaltsgestattung erlosch am 23.10.2020; der Kläger ist seitdem vollziehbar zur Ausreise verpflichtet. Die Regierung von Unterfranken - Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken (ZAB) - erteilte dem Kläger erstmals am 10.11.2020 Duldungen wegen fehlender Reisedokumente nach § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Seit 25.02.2021 erhält er Duldungen für Personen mit ungeklärter Identität nach§ 60b AufenthG . Der Kläger ist der Beklagten gemäß Bescheid der Regierung von Unterfranken vom 30.01.2019 seit 07.02.2019 in die Gemeinschaftsunterkunft (GU) A, A-Straße, A zugewiesen, wo er bis heute wohnhaft gemeldet ist.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger zunächst mit Bescheid vom 06.02.2019 Leistungen nach§ 3 AsylbLG für die Zeit vom 07.02.2019 bis auf weiteres in Höhe von monatlich 320,14 EUR. Im Juni teilte die ZAB der Beklagten mit, dass der Kläger die Abschiebung nach Italien am 19.12.2018 durch Widerstandshandlungen vereitelt habe. Außerdem leitete die ZAB ein Schreiben zur Aufforderung zur Passbeschaffung vom 31.10.2019 und den Bescheid des BAMF vom 09.01.2020 an die Beklagte weiter. Mit Schreiben vom 12.07.2021 teilte die ZAB ferner mit, dass Anhaltspunkte für eine Leistungseinschränkung nach§ 1a Abs. 3 AsylbLG vorlägen. Des Weiteren wurde der Beklagten ein Aktenvermerk über eine Rückkehrberatung der ZAB vom 16.11.2020, die Abschlussmitteilung des BAMF über das Asylverfahren und eine weitere Aufforderung zur Passbeschaffung an den Kläger vom 10.11.2020 mit Frist bis 10.12.2020 zugeleitet.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 15.07.2021 hob die Beklagte den Bescheid vom 06.02.2019 auf. Sie stellte ferner fest, dass der AsylbLG-Leistun...