Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarzt. Zulassungsentziehung. gröbliche Pflichtverletzung. maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt. Nachholung der Fortbildung. Ausschlussfrist. Verhältnismäßigkeit
Orientierungssatz
1. Eine Pflichtverletzung (hier: Verstoß gegen Fortbildungspflicht) ist gröblich, wenn sie so schwer wiegt, dass ihretwegen die Entziehung zur Sicherheit der vertragsärztlichen Versorgung notwendig ist. Davon ist auszugehen, wenn die gesetzliche Ordnung der vertragsärztlichen Versorgung durch das Verhalten des Arztes in erheblichem Maße verletzt wird und das Vertrauensverhältnis zu den vertragsärztlichen Institutionen tiefgreifend und nachhaltig gestört ist, so dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden kann.
2. Bei Zulassungsentziehungen ist der maßgebliche Entscheidungszeitpunkt der des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens, das heißt der Entscheidung des Berufungsausschusses (vgl BSG vom 17.10.2012 - B 6 KA 49/11 R = BSGE 112, 90 = SozR 4-2500 § 95 Nr 26).
3. Bei der Regelung des § 95d Abs 3 S 4 SGB 5 handelt es sich um eine gesetzliche Ausschlussfrist, bei der eine Wiedereinsetzung nach dem klaren Sinn und Zweck des Gesetzes, der Qualitätssicherung, ausgeschlossen ist.
4. Zur Verhältnismäßigkeit einer Zulassungsentziehung.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 11. Dezember 2013 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1), 2) und 6).
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Entziehung der Zulassung des Klägers wegen Nichterbringung des Fortbildungsnachweises streitig.
Der Kläger (geb. 1946) ist Facharzt für Orthopädie und seit 1995 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und in A-Stadt niedergelassen. In dem Zeitraum vom 30.06.2004 bis 30.06.2009 erbrachte er keine Fortbildungsnachweise.
Die Beigeladene zu 1. erinnerte den Kläger mit Schreiben vom 27.03.2009, 10.06.2009 und 24.06.2009 an seine fachliche Fortbildungspflicht sowie die rechtzeitige Nachweisführung und informierte ihn darüber, dass Verstöße zu Honorarkürzungen bis hin zur Entziehung der Zulassung führen könnten.
Der Kläger erbrachte auch in der Folgezeit keinen Fortbildungsnachweis. Die Beigeladene zu 1. nahm wegen des fehlenden Nachweises ab dem Quartal 3/2009 Honorarkürzungen von 10% und ab dem Quartal 3/2010 Honorarkürzungen von 25% vor. Mit Schreiben vom 02.03.2011 wies sie den Kläger darauf hin, dass sie nach dem Gesetz unverzüglich gegenüber dem Zulassungsausschuss einen Antrag auf Entziehung der Zulassung stellen solle, wenn der Nachweis nicht spätestens zwei Jahre nach Ablauf des Fünfjahreszeitraums erbracht werde. Mit weiterem Schreiben vom 26.09.2011 bat sie den Kläger um kurze Stellungnahme, ob besondere Gründe vorlägen, durch die er an der Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen sowie der Nachweisführung gehindert gewesen sei. Der Kläger nahm keine Stellung.
Daraufhin beantragt die Beigeladene zu 1. mit Schreiben vom 24.04.2012 beim Zulassungsausschuss für Ärzte, die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit des Klägers zu entziehen. Sie wies darauf hin, dass der Kläger aufgrund der durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) verankerten Pflicht zur fachlichen Fortbildung im Zeitraum 30.06.2004 bis 30.06.2009 erstmals fortbildungsverpflichtet gewesen sei. Der Kläger habe auch in dem faktisch um zwei Jahre verlängerten Fortbildungszeitraum bis 30.06.2011 keinen Fortbildungsnachweis erbracht. Die Nichterfüllung der Fortbildungspflicht stelle in aller Regel eine gröbliche Verletzung vertragsärztlicher Pflichten dar. Es lägen auch keine besonderen Umstände vor, die darauf schließen lassen könnten, dass sich der Kläger in anderer Weise regelmäßig fortgebildet habe und/oder der Fortbildungsnachweis nur formell nicht erbracht worden sei.
Der Kläger reichte ein Attest von Dr. B., Facharzt für Neurologie, vom 27.06.2012 beim Zulassungsausschuss ein. Danach sei er seit Dezember 2009 in regelmäßiger neurologischer Behandlung. Es bestehe bei dem Kläger seit Ende 2009 eine schwere Trauer-Depression nach dem tragischen Ableben seines Sohnes. Ein- und Durchschlafstörung, Lebensmüdigkeit, Antriebslosigkeit, Verminderung der Belastbarkeit und manchmalige Suizidgedanken seien vorhanden. Aufgrund eines bemerkenswerten Verantwortungsbewusstseins für seine Kinder (u.a. ein behinderter Sohn) und seine Ehefrau sowie seinen Patienten gegenüber, übe der Kläger seine berufliche Tätigkeit als Orthopäde weiterhin aus, die Belastbarkeit sei jedoch vermindert. Dies sei als therapeutische Maßnahme und Hilfe zur Verarbeitung der Trauer-Depression zu unterstützen.
Der Zulassungsausschuss entzog mit Bescheid vom 31.07.2012 aufgrund des Beschlusses vom 18.07.2012 die Zulassung des Klägers zur vertragsärztlichen Tätigkeit. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe...